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Bruna

Inhaltsverzeichnis

Die Priesterin der Morgenröte

 

Altersfreigabe: 18+

Diese Geschichte beinhaltet explizite Beschreibungen von Sexualität und Gewalt und richtet sich ausschließlich an erwachsene Leserinnen und Leser. 

 

Original: © April 2022 Blum
eBook: © April 2022 choose your art
Titelbild, Gestaltung & Satz: Blum

Korrektur: Sim 


Speyer, Deutschland

Alle Rechte vorbehalten

 

Lieber Leser, solltest du Anregungen oder Kritik für unsere Produkte haben, würden wir uns sehr über eine eMail von dir freuen: xo@karma23.de

Über dieses Buch

Bruna – Die Priesterin der Morgenröte ist eine Geschichte aus dem Rollenspiel Karma²³ und spielt auf einer seiner Welten:

Über all die Zeitalter, in denen die Menschheit sich auf Terra entwickelte, übersah sie, was um sie herum vorging. Unzählige von fremden Kulturen entstanden auf weit entfernten Planeten, Kriege wurden ausgefochten und Allianzen geschmiedet. Gottgleiche Wesen übten die Kontrolle über weitreichende Sektoren der Galaxie aus. Schließlich erreichten diese Mächte auch die Heimatwelt der Menschen und sie nahmen sich, was sie brauchten. Sie entführten tausende von Menschen aus verschiedenen Kulturen und schufen sich aus diesem genetischen Grundstock ihre eigenen Sklavenvölker. Doch sie wussten nicht um die Natur der Menschen. Sie kannten nicht deren inneren Drang nach Freiheit und ihre enorme Anpassungsfähigkeit. Es kam, wie es kommen musste – während die Herren des Alls an Korruption und innerem Verfall litten, erhoben sich die menschlichen Sklavenkulturen und begannen ihren Siegeszug …

 

Kennung: K1Kn28p109-7 :: Quadrant: -28|109 :: System: Kraken :: Größe: 7 :: Gravitation: 0,9 G :: Umlaufzeit: 1,0 Standardjahre :: Trabanten: 36 K :: Subraumanschluss: Tu2QpD-SS4-D1,7D :: Sj 2.240 :: Name: Koriff :: :: ::

Bild: Blum

Auf dem Altarstein

Erschrocken stöhnte sie, als der Fremde grob in sie drang. Sie lag mit dem Oberkörper auf dem linken der vorderen Altarsteine. Ihr Gesicht, ihr Busen und ihr Bauch wurden gegen die kalte, spiegelglatte Steinfläche gedrückt. Sie hatte das Gefühl, dass ihre Brüste am Stein festklebten und einen Moment überkam sie die Angst, womöglich nie wieder von dem Altar loszukommen. Dann presste sie die Lippen zusammen als der Kerl sie auszuloten begann. Er hielt ihren nackten Hintern mit seinen seltsamen Händen und sie konnte deutlich seine krallenartigen Finger an ihrer Haut spüren. Diese merkwürdigen Hände. Violett und irgendetwas mit der Anzahl der Finger – irgendetwas hatte nicht gestimmt. Zu viele Daumen, zu breit, zu lang, alles war irgendwie zu an diesen Händen. Er bewegte sich und sie stieß erneut erschrocken die Luft aus. Sie hatte das Gefühl, als weite sich ihr Inneres bis es kurz davor stand zu platzen. Als eine Träne aus einem ihrer Augen quoll, packte sie ihren Umhang fester und krallte sich mit der freien Hand in die Kante des Steins. Den purpurroten Mantel, den sie trug, hatte er grob nach oben geschoben, um Zugang zu ihr zu erhalten. Das schwere Kleidungsstück hatte sich über ihren Kopf gelegt und sie wäre beinahe erstickt. Nur mit größter Mühe und unter schmerzhaften Verrenkungen war es ihr gelungen, den linken Arm aus der Robe zu ziehen. Jetzt hatte sich der Stoff um ihren rechten Arm gewickelt und hing über den Rand des Altarsteines.

Nach Atem ringend blinzelte sie in das Flackern der brennenden Feuerschalen. Der Tempel lag im düsteren Licht der Morgenröte. Er stand hinter ihr und drängte nun fester gegen sie. Sein Atem ging ruhig, doch sie wusste, er hatte gerade erst angefangen und wenn seine Wildheit jetzt schon derart umfassend in ihr rumorte, hatte sie eine durchaus klare Vorstellung vom Ablauf der nächsten Minuten. Dann stieß er mit einem Ruck zu und klatschte mit seinem Unterleib gegen ihren Po und ihre fülligen Oberschenkel. Sie schrie auf, erstickte aber den Schmerzenslaut so gut sie konnte. Verzweifelt versuchte sie sich zu sammeln, ihre Gedanken in sich zu zentrieren, wie sie es von ihren heiligen Müttern gelernt hatte. Doch dann stieß er erneut zu und ihren Lippen entwand sich ein Zischen.

»Scheiße nochmal«, presste sie nach Luft ringend mit gegen den Stein gedrückter Wange hervor. Er hatte ihren Hintern noch fester gepackt und hob ihn mit seinen Bärenkräften an. Das bog ihren Rücken weiter durch und verlagerte ihr ganzes Gewicht auf ihre Brust. Sie hatte das Gefühl, ihr Busen quelle links und rechts von ihrem Kinn hervor, als hätte sich ihr Fleisch in eine gallertartige Masse verwandelt. Sie ballte die Hand um die sie ihre Robe gewickelt hatte zur Faust und schlug mehrmals gegen den Altarstein.

»Scheiße, Landor, Scheiße, verdammt«, zischte sie immer wieder, als der violette Kerl begann, sich immer fester und vor allem tiefer in ihr zu bewegen.

Visionen des Kraken kamen über sie. Tentakel wanden sich um ihre Hüften. Sie lachte und tanzte das Ritual der Prinzessin. Einer der Tentakel war tief violett und kam immer näher. Sie schrie und lachte und langte nach dem Ding, und dann wurde die Welt um sie her von einem Stöhnen erfüllt. Als sie mit einem ihrer Schneidezähne den Stein streifte, wurde ihr bewusst, dass es ihr eigenes Stöhnen war, welches den Tempel erfüllte. Sie schrie und versuchte, die Meereswellen in ihrem Unterleib unter Kontrolle zu bringen, aber der Scheißkerl wollte nicht weniger werden. Er war einfach zu viel und er hatte gerade erst angefangen. Sie konnte jetzt auch sein eigenes Stöhnen hören. Es war ein stiller, seltsam kehliger Laut, fast wie von einem verwundeten Tier. Das Geräusch rührte sie einen Augenblick seltsam, schlich sich in ihr Herz und ließ sie seine Menschlichkeit erahnen. Dann wurde ihr die Komik ihrer eigenen Gedanken bewusst, er stieß besonders tief zu und nun war es sie, deren Menschlichkeit sich von ihr löste und sie wie ein Tier schreien ließ.

»Ist alles in Ordnung Frau Bruna Malision?«

Die Stimme kam von einem der Seitengänge hoch über ihrem Kopf. Sie gehörte einem der Tempelwächter, einem dünnen, schüchternen Mann, der noch vor wenigen Minuten lächelnd die schwere Doppeltüre aus grün gefärbtem Holz hinter sich geschlossen hatte. Hinter sich bedeutete, er hatte mit den beiden Priestern und den anderen Wachen den Raum verlassen. Was beim Arschloch des Kraken machte er dann hier?

»Jetzt Frau Bruna Malision?«

Gequält fiel ihr auf, dass der Idiot sogar jetzt, und in dieser Situation, den Vorschriften gemäß ihren vollen Namen aussprach. Hinter sich hörte sie ein genervtes Knurren. Die Stöße hatten aufgehört, aber sie fühlte sich nach wie vor wie aufgespießt. Mit zusammengepressten Lippen versuchte sie die Lage zu erfassen. Sie konnte förmlich spüren, wie der dumme dünne Idiot gerade wieder Luft holte, um mit seiner Fistelstimme eine erneute Dummheit in die heilige Tempelluft zu entlassen. Es bestand Handlungsbedarf, aber sie selbst verfügte nicht über den Luxus, einfach so Luft in ihre an den Stein gequetschten Lungen fluten zu lassen. Stattdessen wedelte sie mit der um ihren Arm gewickelten Robe, die sich zum Glück auf derselben Seite wie der Wächter befand und keuche durch ihre fest aufeinander gebissenen Zähnen: »Nein, der Vorgang ist nicht«, sie musste eine Pause machen, um sich nicht zu verschlucken, vollendete den Satz aber so schnell es ihr möglich war. Sie musste unbedingt weiteren Handlungen seitens des Wächters zuvorzukommen: »Nein, nicht beendet.«

Der Vorgang war noch nicht beendet. Sie kniff die Augen zusammen und betete zum Kraken. Möge der gefräßige Schlund aus den Tiefen heraufkommen, sich weit öffnen, diesen Dummen hier mit seinem Schnabel zermalmen und seine Gedärme verschlingen. Ihr wurde bewusst, dass es an ihr war, sich möglichst weit zu öffnen, wenn sie nicht die sein wollte, die zermalmt würde.

Verzweifelt versuchte sie, mit den Augen den Wächter zu sehen, aber sie konnte in ihrer durchgebogenen Position den Kopf nicht weit genug drehen. Im Verlauf der Bewegung spürte sie, wie das riesige Ding, das sie von hinten gegen den Altar heftete, ihr Innerstes gegen ihre Magenwand zu drücken schien. Eine Welle der Übelkeit zwang sie den morgendlichen Kuv erneut herunter zu würgen.

»Frau Bru…«

Wie eine Furie fuhr sie hoch, bog ihren Rücken in eine geradezu menschenunmögliche Position und ließ sie wie eine der Schlangentänzerinnen der Märkte aussehen.

»Beim Scheißloch des Kraken, du wirst doch wohl sehen, das der Vorgang noch nicht beendet ist. Schick dich du …« Weiter kam sie nicht. Der violette Riese, der von hinten an ihr lehnte, hatte ihrem Po mit einem frivolen Lachen einen klatschenden Schlag versetzt. Eine Welle des Schmerzes schoss durch ihren Arsch ihre Wirbelsäule entlang und zwang sie ihre ursprüngliche Haltung anzunehmen. Sie hörte das schmatzende Geräusch, als sich ihre Brüste erneut am Stein fest saugten, hörte die verzagten Schritte des Tempeldieners und dann das tierhafte Stöhnen des Riesen. Alles ging jetzt schneller. Die Unterbrechung hatte ihn ungeduldig gemacht. Seine Bewegungen kamen jetzt in kürzeren Schüben, hastiger, brutaler. Sie stürzte in einen Strudel aus Schmerz, Angst und einer seltsam suiziden Lust. Ihr Unterleib erschauderte bei jedem Stoß und sie fürchtete, er würde ihr Innerstes bei jedem Mal, da er erneut zustieß, durch ihre Gedärme pressen. Sollte er doch.

Der kalte Tempel begann sich auszuweiten. Die Seitenwand, die einzige die sie sehen konnte, rückte immer weiter von ihr weg. Sie lachte und stöhnte, als sie Prinzessin Andine mit ihren Beinen den Kraken umschlingen sah. Die Fresken bewegten sich. Helles Fleisch und dieser seltsam riesige Hintern wurden von den acht Armen des Kraken bedrängt. Die Prinzessin öffnete stumm den Mund und ließ die Tentakel in sich ein. Bruna stöhnte und wand sich, versuchte so gut es eben möglich war, den immer wilder werdenden Stößen auszuweichen, aber die Steinkante des Altars an ihrem Schritt hinderte sie schmerzhaft daran.

Dann wurde alles um sie herum dunkel. Sie hörte nur noch ihre Schreie und das gutturale Stöhnen dieses Viehs hinter sich. Er bog sie immer wieder durch und versuchte, sie noch weiter zu erforschen. Zum wiederholten Male verdammte sie sich selbst, eben keins der schlanken Schlangenmädchen der Märkte zu sein. Sie schrie und stöhnte, er bewegte sich in ihr und schließlich waren da nur noch Blitze in ihren Augenwinkeln. Pulsend wurde der Schmerz zu ihrer inneren Welt und verwandelte sich in ein Feuer der Extase. Drei oder vier Mal brandeten diese von weißen Tentakeln durchsetzten Meereswellen gegen ihr Bewusstsein, dann ebbten sie ab und eine seltsame innere Entspannung gab dem Riesen in ihr mehr Raum.

Er hatte nicht aufgehört, aber ihr Bewusstsein konnte ganz klar wahrnehmen, dass auch er gleich soweit war. Er grunzte jetzt wie ein Schwein und sie spürte, wie sein Speichel auf ihren Hintern tropfte. Noch ein paar Mal stieß er zu, dann entrang sich seiner Kehle ein seltsam rauhes Röcheln, dass fast an das Wimmern eines Welpen erinnerte. Er zitterte und drückte sich so fest gegen sie, dass die Steinplatte ein kratzendes Geräusch von sich gab, doch sie hatte sich geöffnet und egal wie weit er noch in sie dringen wollte, sie hatte Platz.

Dann ergoss er sich in sie und drückte sich zitternd gegen ihren Hintern. Sie spürte die Hitze seiner Saat und lachte in sich hinein. Ob sein Saft so violett wie seine Haut war? Sie würde es später erkunden. Wo blieben die Idioten?

Drei Standardtage zuvor

Der Jäger lehnte sich gegen die grün-weiß getäfelte Wand des Zimmers. Fliegen umkreisten den Belüfter an der Decke und wurden immer wieder von den Lamellen angesaugt. Sie blieben eine Sekunde hängen, dann wendete sich der Luftstrom, entließ die kleinen Plagegeister und wenn er erneut drehte, saugte er sie auch wieder an. An Flucht war offenbar nicht zu denken. Denken schien aber hier auf Koriff generell eine nicht besonders hoch im Kurs stehende Angewohnheit zu sein.

Der Vorseher an der Terminalschreibplatte schwitzte. Er war ein nach menschlichen Maßstäben zweifelsfrei dicker, alter und wahrscheinlich auch sehr hässlicher Mann. Seine Stirnglatze zog sich bis zu seinem Hinterkopf und seine dünnen Haare waren nass vom Schweiß. Der Jäger, dem es selbst auch zu warm war, fragte sich, wie man derart viel Wasser vergeuden konnte. Ja, ihm war warm, doch sein Körper hielt die Feuchtigkeit als Reserve für trockene Zeiten.

Auf dem Flur entstand ein Tumult. »Schieb deinen dicken Hintern da rein«, rief eine laute Stimme. Der Jäger registrierte, dass sein Pad wohl endlich die seltsame Sprache der Koriffen in die seine übersetzen konnte. Dieser Vorgang hatte deutlich länger gedauert, als zum Beispiel auf Asam. Das Kauderwelsch der Kirnmenschen dort war offenbar leichter zu erlernen gewesen. Er war nun seit über sechs Tagen auf Koriff und hatte sich bis eben mit Händen und Füßen verständlich machen müssen. Noch stimmte zwar die Modellierung der Stimmen nicht und machte es nahezu unmöglich, die jeweilige Stimmung zum Gesagten zu verstehen, aber die wörtlich exakte Übersetzung, ohne die ständigen Korrekturhinweise der künstlichen Intelligenz, war immerhin besser als nichts.

»ID!« befahl der Dicke hinter dem Tisch und riss den Jäger aus seinen Überlegungen. Seine Maske war verrutscht und er schob sie zurecht, eine automatische Handlung, die sich in all seine Bewegungsabläufe gegraben hatte. ID, überlegte er. Das klang für ihn ein wenig wie Itfen, was in seiner Sprache einfach Frau bedeutete. Aber so dumm konnte doch nicht einmal ein Mensch sein, ihn für eine Frau zu halten. Gut, die Weiber seiner Art waren im Gegensatz zu den Männern der Menschen kraftvolle Jägerinnen, groß, stark und klug. Jede von ihnen hätte jeden beliebigen Menschenmann in den Boden stampfen können, doch ihm selbst sah man nun ja wohl sofort an, dass er ein Mann sein musste. Nicht, dass es ihm peinlich gewesen wäre, für eine Jägerin gehalten zu werden, er schätzte die Weiber seiner Art. Aber allein seines grauen Bartes wegen musste sein Geschlecht doch erkennbar sein? Oder trugen die Weiber der Koriffen Bärte? Er legte den Kopf schief, als er darüber nachdachte, ob er in den letzten Tagen eine bärtige Frau zu Gesicht bekommen hatte, doch seines Wissens trugen auch die Menschenfrauen einzig zwischen ihren Schenkeln Bärte. Dann musste er automatisch an die Tänzerinnen in der Bar denken, in der er gestern Nacht von den Schergen des Vorsehers angesprochen worden war. Diese drei Weiber hatten nicht einmal auf ihrer Scham Bärte getragen! War der Vorseher dumm?

»Identifikation!« wiederholte der Vorseher seine Ansprache und sah den Jäger jetzt direkt an. Dieser stellte seinen Hochhem neben sich auf den Boden, hob den Arm und nestelte an seinem Pad herum. Das Ding war einfach nicht für Handschuhe gemacht. Die Menschen redeten mit ihren Pads, doch dies fand er kindisch. Wiederholt tippte und wischte er auf dem verkratzten Anzeigefeld hin und her, bis es ihm endlich gelang, seine Daten an den Tisch des Dicken zu senden. Jetzt würde er ja sehen, dass er, der Jäger, ein Mann war. Das stand da nämlich in seinen Daten. Er hatte es selbst angegeben und hatte sich damals schon gefragt, für was man so etwas überhaupt erfragte, wo er doch einen eisgrauen Bart trug.

Endlich war der Vorseher zufrieden. Er senkte den Blick auf seine Tischplatte, wo feine Linien erschienen waren. Der Jäger hatte gelernt, dass dies die Schrift der Menschen war. Seine Leute schrieben nicht viel. Eher stellten sie kunstvolle Zeichnungen her, die bedeutend besser darzustellen wussten, was man aussagen wollte. Diese winzigen Striche und Kreise waren viel zu abstrakt und klein, um sie in die Lage zu versetzen Personen oder gar komplexe Vorgänge beschreiben zu können.

»Rang hoch genug. Gut. Dreitausend passt ebenfalls und die Quote ist mehr als unauffällig. Würdest du zur Not auch im Typus abweichen?« fragte der schwitzende Mann.

Der Jäger freute sich innerlich über das offensichtliche Lob, obwohl er nicht ganz verstand, was der Dicke wissen wollte, grunzte aber zustimmend. Zahlen hatten nichts mit der Jagd zu tun und jeder Jäger musste essen. Er hatte schmerzhaft lernen müssen, dass man in der Welt der Menschen sein Essen nicht einfach so jagen konnte. Man stelle sich vor, auf ihren Planeten gehörte die Beute immer schon irgend jemandem, ehe sie überhaupt erlegt wurde. Alles an den Menschen war irgendwie so … irgendwie so verkehrt herum.

»Ja oder nein?« wollte der Vorseher es genau wissen.

Der Jäger nickte. Er würde den Auftrag annehmen, er war der Jäger und wollte jagen. Er kannte ja auch gar nichts anderes. Einmal hatten sie ihn angeheuert, da hatte er die Sprache der Menschen noch nicht begriffen, auf einem Ladedock Kisten zu schleppen. Er hatte sie nicht verstanden und sie hatten ihn nicht verstanden. Warum sollte er Kisten tragen, um jagen zu können? Man trug Kisten, wenn man von einem Jagdgrund zum anderen zog, aber doch nicht, um jagen zu dürfen, sondern weil es dort mehr und hier weniger Beutetiere gab. Menschen.

»Gut, dann setze ich jetzt die Vertragsdaten auf. Es geht morgen früh mit der Monorail nach Isalatan. Nicht zu spät kommen, es fährt nur eine Rail pro Tag«, sagte der Vorseher und schnippte ihm etwas von seiner Tischplatte auf das Pad. Das Anzeigefeld glomm auf und zeigte dem Jäger Linien und Kreise und dann ein gültiges Ticket für die Monorail. Das kannte er schon. Man musste Credits bezahlen, wenn man von einem Ort zum anderen gelangen wollte. Er musste zugeben, dass erschien im zwar einerseits irgendwie auch pervers, andererseits war man mit diesen gleitenden Röhren deutlich schneller unterwegs, als auf dem Rücken einer alten stinkenden Dogomba.

Später hockte der Jäger an einem niedrigen Holztisch vor seinem derzeitigen Lieblingsrestaurant. Hier bekam man Essen ganz ohne Jagd. Das war zwar einerseits seltsam, andererseits mochte er aber die Art, wie die Koriffen ihr Essen zubereiteten. Ja, es ging nichts über den herzhaften Biss in einen rohen Blictjac, aber die kleinen Röllchen mit der süßen und seltsam kitzelnden Soße hier am Straßenrand waren auch nicht zu verachten. Genüsslich schob er sich eins nach dem anderen der würzigen Dinger in den Mund und spielte dabei mit den Tonks seines Hochhelmes. Er vermisste seine Leute. Jede der Verzierungen konnte er dem Stammesmitglied zuordnen, welches diese für ihn geschnitzt hatten. 

Plötzlich musste er grunzend lachen und spuckte dabei eins der Röllchen über den Tisch auf die Straße. Der Kerl hatte ihn tatsächlich für eine Frau gehalten.

 

 ***

 

Am nächsten Tag verbrachte er den Morgen mit Warten. Der Ort, an dem die Monoröhre, oder wie das Ding hieß, losfuhr, war dunkel, schmutzig und unübersichtlich. Er kannte solche Orte. Die Menschen schienen sie zu lieben. Zumindest die Jäger unter ihnen. Freundliche, passive Menschen mochten lieber helle Orte. Soviel hatte der Jäger gelernt. Dieser Ort war eindeutig für die eher aggressiven Menschen gedacht. Er überlegte, ob dies bedeutete, dass aggressive Menschen mehr reisten. Das fahrende Röhrending diente ja dem Reisen.

Während er sich mit dem Rücken an einer Wand aufbaute, überblickte er die Lage. Zwei an der Treppe, einer in einem winzigen Häuschen, in dem er unmöglich mit einer Familie leben konnte, eine Frau vor dem Häuschen und drei weitere, ziemlich junge Menschen, soweit er das einschätzen konnte, an dem Zugang, der zu den Röhren führte. Seltsamerweise machten die Jungen auf ihn den gefährlichsten Eindruck. Die an der Treppe sahen zu alt aus, um gefährlich zu sein, wobei man sich da täuschen konnte. Die Frau und der arme Mann in dem kleinen Häuschen unterhielten sich oder schlossen irgendwelche Geschäfte ab. Menschen schlossen immer irgendwelche Geschäfte ab. Geschäfte waren ihre Art des Jagens.

Nur die drei Jungen lungerten an der Schiene herum, hatten ihre Umgebung im Blick und suchten eindeutig nach der Gefahr. Er lächelte und überlegte, seinen Hochhelm anzulegen, aber dann erinnerte er sich an den Raumhafen von Asam und die lange Flucht, zu die er gezwungen gewesen war. Also spuckte er zwischen seine Füße und beließ es dabei. Wenn sie Ärger wollten, sollten sie zu ihm kommen. Er war schließlich der Ältere und konnte mit dem entsprechenden Respekt rechnen.

Dann wartete er. Er verstand nicht, warum und auf was er wartete. Auf der Tacblic wartete man oft auf das Wild. Man musste Geduld haben und seinen Geist in die Anderwelt schicken, um von hier aus einen Überblick über die eigenen Möglichkeiten und über das Land zu bekommen. Nur so war es möglich, die Kälte, die eigenen Unzulänglichkeiten und das Wild zu überwinden. Hier wartete man auf eine Tat. Wenn er etwas tun wollte, tat er es nach dem Aufstehen. Man schlief und tat nichts sonst, doch wenn man erwachte, tat man, was es zu tun gab. Kein Etcs würde auf die Taten eines anderen warten. Ein Jäger ging zur Jagd, die anderen taten was sie zu tun hatten, aber sie warteten nicht auf den Jäger. Eine Jagd war zu Ende, wenn der Jäger zurückkam. Hier wollte man reisen, aber vorher musste man warten, als wäre die Reise ein seltenes Beutetier.

Versuchsweise verließ er seinen Schädel und erkundete die Umgebung. Er maß alle Entfernungen, sog die Gerüche ein und prüfte die Geräusche. Hie und da bewegte sich ein Tier. Meist waren es fliegende Tiere. Er kannte ihre Art nicht. Auf dem Dach eines Verladelagers hockten zwei kleine Menschen mit langen Schwänzen. Die beiden Wesen suchten in den Kopfhaaren des jeweils anderen nach Nahrung. Ein Schmunzeln umspielte seine Unterlippe bei diesem Anblick.

Es hatte etwas mit den Zeiten zu tun. Die Menschen taten ihre Dinge nicht nach dem Aufstehen, zumindest nicht immer. Er hatte sich mit dem Konzept der Zeitzählung beschäftigt. Es war nicht so schwierig, zumal man die Zeit hier von seinem Pad ablesen konnte. Seltsam, die Zeit lesen. Wäre es da nicht sinnvoll gewesen, die Vorgänge der Zeit ebenfalls niederzuschreiben? Man hätte doch die Ankunft der Röhre mit den Aufzeichnungen der Zeit in Einklang bringen können. Am besten hätte man sie auf das Ticket schreiben können.

Über den beiden kleinen Menschen mit den Schwänzen, er nannte sie in Gedanken Schwanzmenschen, kam es zu einem Gezänk zwischen zwei Vögeln. Das Ganze war schnell vorbei, aber dem Jäger entging keine einzige Bewegung. Einer der Vögel hatte etwas im Schnabel getragen, dass ihm der andere wegnehmen wollte. Jetzt war es zu den Schwanzmenschen heruntergefallen, die sich nun ihrerseits darum balgten. Seine Maske war verrutscht und dennoch nahm er die Bewegung auf dem Hof vor sich wahr. Es waren, wie erwartet, die drei Jungen schwanzlosen Menschen. Einer von ihnen war an dem Häuschen mit der Frau vorbeigegangen und hatte dieser ihre Tasche entrissen. Die anderen beiden folgten dem ersten und gaben, der eine ein gackerndes, der andere ein seltsam meckerndes Lachen von sich. Die Frau schrie, aber der Gackernde hatte ein dünnes Ding aus der Tasche gezogen und fuchtelte ihr damit vor dem Gesicht herum.

Der Jäger sah kurz zu den beiden älteren Männern, von denen einer den Ärmel seiner Weste hochgeschoben hatte, aber anstelle einer Waffe, schien er dort nur die kleinere Variante eines Pads zu tragen. Wahrscheinlich wollte er Krieger herbeirufen. Die Koriffen nannten diese Leute Gardmen, was soviel wie Schutzleute bedeutete. Er wusste, dass hier kein Gardman ankommen würde, ehe nicht alles vorüber wäre. Selbst im Falle der Eskalation dauerte das Heraneilen durch die belebten Straßen der Civic einfach viel zu lange.

Der vorderste der Jungen hatte jetzt die Treppe erreicht, auf deren untersten Stufen der Jäger stand. Er sah ihm ins Gesicht, genauer gesagt auf die Maske, die er gerade gelassen zurechtrückte. Fassungslos sah der Jäger mit an, wie der junge Mensch ihm zuerst vor die Füße spuckte, dann etwas rief, das fehlerhaft als Mensch übersetzt wurde und schließlich in seine Tasche griff, um einen kleinen metallenen Gegenstand daraus hervorzuholen. Plötzlich klickte aus dem Dinge, es war ein Griff, eine winzige Klinge hervor.

Der Jäger brauchte eine Sekunde, um zu begreifen, das es sich aus der Sicht des Jungen um eine Art Waffe handelte, welche dieser nun gegen ihn, den Jäger zum Einsatz zu bringen gedachte. Doch als die Sekunde verstrichen war, brach er dem Angreifer mit einer wenig eleganten, aber dafür umso härteren Bewegung, die Nase. Der Junge stolperte rückwärts und bremste seinen Sturz mit seinem Hintern, schaffte es aber nicht, eine weitere Rückwärtsrolle zu verhindern. Alles in allem gab ihm der Jäger eine akzeptable Note für dieses Manöver, welches ihn immerhin aus seiner unmittelbaren Reichweite gebracht hatte. Leider verließ den Jungen nach der Rolle die Kraft und er blieb regungslos aber laut stöhnend liegen. Die anderen beiden hatten offenbar interessantere Möglichkeiten, ihr Leben fortzuführen, entdeckt. Einer zog sich in Richtung der Rail zurück und verschwand dort in einer der Lagerhallen, der andere rannte, einen großen Bogen um den Jäger schlagend, die Treppe hinauf auf den Ausgang des Hofes zu, um auf nimmerwiedersehen zu verschwinden.

Der Jäger nickte der immer noch schreienden Frau zu und deutete mit der Stirn auf den am Boden liegenden. Aber die Frau schrie einfach weiter, bis einer der älteren Männer die Treppe herunter kam und ihre Tasche aufhob. Der Gackernde hatte sie in der Eile fallen gelassen. Als die Frau ihre Tasche wiederbekam, beruhigte sie sich, aber für den am Boden liegenden schien sie sich nach wie vor nicht zu interessieren. Stattdessen sahen nun alle ihn, den Jägern, mit großen Augen an. Er kannte diesen Blick gut. Es war die Angst der in die Enge getriebenen Beute, das Ergeben vor dem Raubtier, die hoffnungslose Erkenntnis der eigenen Schwäche und Niederlage.

Kopfschüttelnd trat er zu dem Jungen, der immer noch jammerte. Er hob das winzige Messer auf und versuchte, die Klinge einzuklappen, aber der Mechanismus war zu klein für seine Hände. Also legte er das Ding auf den Bauch des Jungen und ging zur Treppe zurück. Er setzte sich auf die unterste Stufe. Warten auf Taten, dachte er.

Als die Gardmen eintrafen, war der Junge längst verschwunden. Er hatte sich aufgerappelt und war wie seine Kumpane geflohen. Die Ordnungshüter fragten, wer sie gerufen hätte und ermahnten einen der beiden älteren Männer, die Obrigkeit nicht nutzlos in Aufruhr zu versetzen. Der Mann sah kurz zu dem Jäger herüber, verzichtete aber offenbar auf eine weitere Aussage. Bei der Frau und dem armen Mann in dem Häuschen verhielt es sich ebenso. Dann kam ein Krieger mit einer dunkelgrünen Rüstung und einem Schlagstock zu ihm und fragte ebenfalls nach den Geschehnissen hier im Hof. Der Jäger erklärte sich unfähig, die Landessprache zu sprechen und gab darüber hinaus an, nichts gesehen zu haben. Er warte hier auf Taten.

 

***

 

Gegen Nachmittag saß er in etwas, das man Abteil nannte. Es gab Bänke, die in die eine Richtung der Röhre und andere, die in die andere standen. Somit konnte man in Fahrtrichtung oder gegen diese sitzen. Er hatte sich für einen Platz in Fahrtrichtung entschieden und saß nun alleine auf dieser Bank, die noch drei weiteren Fahrgästen Platz geboten hätte. Ihm gegenüber saßen die beiden älteren Männer vom Hof und zwei junge Menschen, er vermutete in beidem Männer, konnte es aber bei dem oder der einen nicht genau sagen. In jedem Fall hockten die vier dicht gedrängt auf ihrer Bank. Der Jäger sah sie an, blickte die Plätze neben sich an und hob die Schultern. Das bedeutete bei den Menschen so etwas wie Ratlosigkeit. Er empfand es als sinnvoll, die Gesten anderer Spezies zu kennen. Bei den Etcs legte man den Kopf schräg und leckte sich mit der Zunge nervös über einen der unteren Hauer, wenn man ratlos war. Er versuchte es, aber die vier reagierten auch darauf nicht. Wie sollten sie auch, sie hatten mit Sicherheit noch nie im Leben einen Etcs gesehen und die Tacblic hatte sicher auch keiner von ihnen je besucht. Er würde das erkennen. Wer die Tacblic gesehen hatte, trug sie als kalten Glanz in seinen Augen. Für immer.

Die Fahrt war irgendwie angenehm. Er konnte es nicht anders beschreiben. Die Landschaft rauschte an ihm vorüber und die Geschwindigkeit erzeugte seltsame Winkel in seinem Sichtfeld. Er versuchte sich vorzustellen, bei diesen Bedingungen mit der Eisharpune ein Beutetier anzuvisieren, aber allein beim Versuch, einen Punkt in der Landschaft zu fixieren, wurde ihm schwindlig und er musste lachen. Seine vier Gesellen sahen irgendwie unglücklich aus, als er grunzend über das Schwirren in seinem Schädel lachte.

Koriffs Sonne stand schon tief am Horizont, als die Röhre endlich in ein urbanes Gebiet einfuhr. Ein Droide hatte gerade das Ticket geprüft und der Jäger fragte sich, was diese Vorgehensweise jetzt, am Ende der Fahrt noch nutzen sollte, da sah er draußen am Horizont eine Hügellandschaft, über der sich mehrere große Bauwerke erhoben. Die Menschen bauten überhaupt sehr viel. Sie waren irgendwie seltsam emsige Tiere, die entweder den ganzen Tag bauten, oder auf irgend etwas warteten, was andere Menschen ihnen in Zeit und Raum vorenthielten. Aber das Bauen schien ihnen noch mehr im Blut zu liegen als das Warten, da war sich der Jäger sicher. Diese Civics bestanden aus so vielen Gebäuden. Und hier auf Koriff war dies noch durchaus übersichtlich. Auf Asam war er einmal mehrere Tage eine einzige Straße entlang gegangen. Man stelle sich das vor, eine Straße, die man tagelang entlang gehen konnte, rechts und links von Gebäuden gesäumt und nie änderte sich etwas. In den Eiswüsten seiner Heimat grub man Erdhöhlen und stellte Zelte gegen den Wind und den Eisregen darüber auf. Doch wer nun denkt, die Etcs könnten nichts bauen, der sollte erst einmal die Eisfestungen der Tacblic gesehen haben. Nur, wer braucht mehr als eine Festung an einem Ort? Für was waren all diese Gebäude der Menschen? Wer lebte hier und vor was schützen sie? Vielleicht waren die Winter auf Koriff härter als die Sommer. Auf Asam hatte er einen Winter erlebt. Es war Schnee gefallen. Aber die Eisstürme waren ausgeblieben. Also für so einen Winter hätte er keine Eisfestung gebaut – sicher nicht.

Die Röhre hielt in einer Halle, ganz wie der, von der sie losgefahren war. Der Jäger sah nach Schwanzmenschen, konnte aber keine entdecken und auch die Treppe und der Hof auf den sich die Reisenden ergossen, sahen anders aus. Beruhigt stellte er so fest, nicht im Kreis gefahren zu sein. Er hatte sein Ziel erreicht. Jetzt musste er den Treffpunkt finden. Isalatan hatte es der Vorseher genannt. Der Jäger fragte einen der älteren Männer, die beide mit ihm ausgestiegen waren, ob sie einen Ort diesen Namens kannten. Beide sahen ihn verdutzt an, ganz offensichtlich verwundert, ihn sprechen zu hören. Was hatten sie gedacht? Dass er ein Tier oder dumm wäre. Er wollte sich schon verärgert abwenden, als sie beide zugleich sagten: »Hier, das ist hier.«

»Hier? Wie ist hier?« fragte der Jäger mit einem Knurren.

Der eine der Männer machte eine ausholende Bewegung, gedachte aber wohl des Jungen mit dem kleinen Messer und senkte den Arm schnell. Dann sagte er leise: »Na hier, das hier ist Isalatan.«

Der Jäger sah sich um und ließ den Kopf sinken. Das bedeutete bei den Etcs, wie bei den Menschen eine milde Form der Niedergeschlagenheit. Er war mehrere Stunden in einer Röhre gesessen, um von einer Treppe zu einer anderen zu gelangen und dann dort wieder auf Taten zu warten.

Die Straßen von Isalatan

Er hatte gewartet. Den restlichen Abend, die Nacht über und bis in den frühen Morgen hinein. Er hätte noch Tage lang auf dieser Treppe sitzen können, aber im Laufe der Zeit wurde ihm klar, dass es wie immer abgelaufen war. Er hatte nur die Hälfte von dem, was man ihm gesagt hatte, verstanden und man musste diese Daten, die man bekam auch lesen. Leider konnte er die Linien und Kreise der Menschen aber nicht deuten. Warum konnte das dumme Pad sie nicht einfach zu kleinen Bildern machen? Immer wieder sah er, wie Menschen mit ihren Pads redeten. Das sah sehr unwürdig aus und unwürdig wollte er nicht sein, aber so wie es war, konnte es nicht weitergehen. Er hatte es versucht und das Pad redete, aber er konnte ihm nicht entlocken, was der dicke dumme Vorseher von ihm erwartete.

Missmutig ging er durch die Straßen der Civic. Er hatte jetzt verstanden, dass Isalatan der Name der ganzen Ansammlung von Gebäuden war. Hätte aber auch eine Bar sein können. Die Bars der Menschen hatten oft auch solche Namen. Hätte sein können.

Warum sagen die Menschen nicht einfach, was genau sie mit einem Namen belegen. Namen ohne Bedeutung sind ohnehin würdelos und dumm. Isalatan, was sollte das bedeuten. Wenn er es aussprach, übersetzte sein Pad aus Isalatan Salat. Salatstadt? Oder bedeutete es ist Salat dran? Als er auf die Anzeige seines Pads starrte, wurde ihm bewusst, dass er mit dem Ding sprach und senkte verlegen den Arm. Er wollte nicht zu einem von denen werden, die den ganzen Tag mit ihrem Pad sprachen. So gerne sprach er nun generell nicht. Auf der Jagd wurde nie gesprochen. Was sollte man auch auf der Jagd sagen? Guck, da vorne war eben ein Tier, bis es uns hörte, weil wir miteinander plauderten. Guck, jetzt ist es weg. Oh.

Es war noch früh für die Menschen, denn im Gegensatz zu ihrer sonstigen Gewohnheit, die Straßen mit ihrer schieren Masse flach zu halten, waren nur wenige von ihnen unterwegs. Er kam an ein Haus mit einer Sitzfläche davor. Menschen bauten Häuser und machten dann einen Teil des Hauses ohne Dach, damit sie im Freien sitzen konnten. Auf der Tacblic konnte man sich jederzeit im Freien hinsetzen und brauchte dazu weder ein Haus noch Stühle. Natürlich gab es Stühle. Wenn man wollte, konnte man sich einen Stuhl machen. Aber warum? Warum sollte man sich nicht einfach auf einen kleinen Hügel setzen oder auf einen Stein? Oder man hockte sich ganz einfach auf ein Fell auf dem Boden. Die Menschen standen so lange, bis sie einen Stuhl fanden. Nur dann setzen sie sich.

Auf der Fläche ohne Dach standen Stühle und kleine runde Tische aus Metallstreben und steinernen Tischplatten. Die fand er irgendwie schön. Sie hatten etwas fragiles und dennoch festes. Er strich mit dem Handschuh über einer der Steinplatten und setzte sich.

»Eine Person?« kam eine Stimme aus dem Inneren des Hauses.

Er sah sich nach dem Sprecher um. Tatsächlich wurde die Stimme des Mannes vom Pad des Jägers dreidimensional in seine Ohren projiziert. Dabei fand eine Übersetzung statt. Es hatte über ein Standardjahr gedauert bis das Pad, damals als er die Tacblic verlassen hatte, in die erste andere Sprache übersetzen konnte. Er hatte das Pad von einem Einsiedler auf der Tacblic erhalten und der hatte es von den Fremden, die immer wieder zur Tacblic kamen, um dort im Boden Löcher zu bohren. Von dem alten Einsiedler wusste der Jäger auch, wie man mit so einem Pad umzugehen hatte. Also rudimentär zumindest.

Der Jäger sah sich nach Mann, dem die Stimme gehörte um und sagte: »Bitte?« Er hatte gelernt, wie man einen Menschen dazu brachte, eine Ansprache zu konkretisieren. Man musste einfach nur Bitte sagen und es ging los. Erwartungsvoll rückte er seine Maske zurecht und blickte in die Schatten des überdachten Gebäudeteils.

»Sind sie eine Person?« wollte der Mann wissen und kam nun näher. Er trug einen für die Koriffen typischen Kaftan, der ein wenig wie der Pactjamg, das Untergewand des Jägers aussah.

»Ja, ich eine Person«, sagte der Jäger wahrheitsgemäß, verstand aber nicht, warum dies dem Mann wichtig war. Man sah ja wohl trotz der Maske, dass er eine Person und kein Droide war.

Der Mann hatte ein Tuch, kam an den Tisch und wischte den Staub von der Steinplatte. Das fand der Jäger irgendwie nett. Die Menschen machten das immer. Irgend einer wischte den anderen immer die Tische ab. Man stelle sich vor: der brachte den anderen dann meistens auch das Essen! Auf der Tacblic brachte keiner dem anderen Essen, außer er wollte sich mit ihr paaren. Also im Falle des Jägers wäre es eben eine Sie gewesen. Er kannte auch Jäger, die lieber anderen Ers Essen brachten, weil sie sich mit ihm paaren wollten. Er mochte aber lieber Sies. War ja auch nichts dabei. Mit dem Mann im Kaftan wollte er sich nicht paaren und er hatte im Laufe der Zeit auch die Angewohnheit der Menschen begriffen, Essen ohne die Absicht zur Paarung zu bringen.

»Was darf es sein?« fragte der Mann in einem freundlichen Ton, taxierte den Jäger aber dabei wie ein exotisches Tier, bei dem er nicht wusste, ob es gefährlich oder einfach nur kurios war.

»Welche Beute du Lager in Haus?« Der Jäger konnte sich gewählt ausdrücken, wenn er wollte und er hatte vor, sich von seiner besten Seite zu zeigen. Er hatte nämlich einen Plan.

»Bitte?« Da war es, der Jäger wusste was Bitte bedeutete, aber er verstand, nicht warum er sich jetzt erklären sollte. Was war denn an seiner Frage nicht zu verstehen gewesen?

Etwas missmutiger brummte er: »Was es gibt?«

»Tee.«

»Tee? Das heißes Wasser mit Blättern.«

Der Mann sah ihn an und nickte dann. Nach einem Moment der Stille sagte er: »So kann man es umschreiben. Doch ist Tee so viel mehr.«

»Dann ich Tee.«

»Welche Sorte bevorzugen sie?«

Der Jäger kniff die Augen zusammen. Das Ganze erschien im langsam wie ein Test. Essen zu bestellen, oder wie in diesem Fall nur heißes Wasser, wurde bei den Menschen gerne zu einem Test. Sie fragten und fragten und am Ende bekam man heißes Wasser.

»Ich mag lauwarm«, knurrte der Jäger ungemütlich und bereute es sofort. Er musste an den Plan denken. Wenn man Menschen verärgerte, wurden sie verstockt und einen verstockten Teeausgeber konnte er jetzt nicht gebrauchen. Hastig fügte er hinzu: »Ich mich überraschen.« Mit diesen Worten auf den Lippen verzog er letztere zu einem breiten Lächeln und zeigte dabei die drei prächtigen Hauer seines Unterkiefers.

Der Mann machte einen Schritt zurück, nickte und ging etwas so leise murmeln ins Haus zurück, dass es dem Pad unmöglich war, es zu übersetzen.

Es dauerte nur wenige Minuten, da kam er wieder und hatte eine kleine Kanne aus einem silbern glänzenden Metall auf einem Schild aus demselben Material dabei. Der Schild war nicht wirklich ein Schild. Es war eine Art Teller. Aber auch das wieder nicht. Man brachte darauf nur Dinge, um sie nicht in den Händen tragen zu müssen. Dafür war der Schild. Er hatte nicht einmal Schlaufen, mit denen man ihn am Arm hätte befestigen können. Man trug ihn immer auf der flachen Hand oder auf den Fingern.

Als der Mann mit dem Schild, der keiner war, sein heißes Wasser in eine kleine Schale goss und diese dem Jäger auf seine Tischplatte stellte, sah ihn der Teemann an.

»Darf es sonst noch etwas sein?« wollte der Mann wissen.

»Gibt es noch etwas?« fragte der Jäger nach.

»Dies ist ein Teehaus, es gibt Tee.«

»Ich habe Tee«, sagte der Jäger und deutete mit dem breiten Kinn auf die Schale.

Der Mann rollte mit den Augen und wollte sich abwenden, aber der Jäger sagte schnell: »Eine Frage bitte.«

Damit meinte er natürlich nicht, das der Mann eine stellen sollte, sondern dass er selbst eine hatte.

»Ja?« fragte der Mann und stellte somit doch auch eine.

»Kannst du helfen? Ich Problem mit Pad.« Der Plan hatte begonnen, in die Phase der Umsetzung überzugehen.

»Nun, wenn es nicht richtig funktioniert, ich habe einen Schwager, der sich mit dem Framing von Pads auskennt«, gab der Teemann zurück.

Der Jäger legte den Kopf schräg und wollte sich schon mit der Zunge über die Hauer fahren, ließ es aber. Schwager, vielleicht eine Art von Droide, überlegte er. Dann sagte er: »Nein, ich glaube nicht kaputt oder so. Ich«, er machte eine kurze Pause und überlegte, wie er die Sache darstellen konnte, ohne sich in ein schlechtes Licht zu rücken. »Ich etwas in Pad verloren«, gab er schließlich zu und sah den Mann offenherzig an.

»Verloren, im Pad? Sie finden bestimmte alte Daten nicht mehr. Haben sie das Pad danach gefragt?«

»Ich rede nicht gerne Dinge«, murrte der Jäger.

Der Mann kniff die Augen zusammen und es war ihm anzusehen, dass er die Situation möglichst schnell zu Ende zu bringen gedachte. »Aber wie wollen sie dann an diese Daten kommen? Können sie das Pad auch auf der Framing-Ebene bedienen?«

Der Jäger schüttelte den Kopf. Wäre es so, bräuchte er ja wohl keinen Teemann zur Hilfe.

»Zeigen sie mal her«, sagte der Mann plötzlich in freundlichem Ton. Er hatte offenbar die Entscheidung getroffen, dass sein exotischer Gast eher kurios als gefährlich war.

Schnell hakte der Jäger das Pad von seinem Knochengürtel und legte es auf die schöne Steinplatte des Tisches. Kurz fragte er sich dabei, warum er diese Fläche so ansprechend fand, ignorierte dann aber diese Gedanken, als der Mann das Pad aktivierte. Da der Jäger dabei war, funktionierte dies. Er wusste, dass diese Pads nur mit Leuten sprachen, wenn ihre Besitzer dies auch wollten. Die waren eigensinnig, diese Pads. Eigensinnig aber irgendwie loyal.

»Was genau suchen sie denn?«

Der Jäger überlegte kurz und sagte dann: »Datensatz von Vorseher.«

»Hat der Mann einen Namen?«

»Er Vorseher.«

»Ja schon, aber hat er auch einen Namen?«

Die Angewohnheit der Menschen, nach Namen zu fragen oder ihre eigenen Namen einfach, so ohne Folter preiszugeben, irritierte den Jäger unermesslich. Er versuchte sich ja an all die Merkwürdigkeiten dieser Leute anzupassen, aber die Sache mit den Namen ging ihm dann doch zu tief. Mürrisch sagte er: »Er ganz sicher Namen, so wie alles hat, aber er ihn nicht verraten und du auch nicht fragen.«

Der Mann sah den Jäger mit weit geöffneten Augen an, sagte dann aber nur: »Aber wie soll ich ihn denn dann finden?«

»Er lebt am Ende Röhrenbahn, nicht versteckt. Hat großes Haus, jeder kennt. Es leicht ihn finden. Braucht nicht seinen Namen«, gab der Jäger klug zurück, verfehlte aber ganz offensichtlich sein Ziel.

Der Teemann machte einen Schritt vom Tisch weg und sagte: »Na dann, fahren sie doch zu ihm und lassen sich von ihm helfen.« Mit diesen Worten – der Jäger musste gestehen, dass sie nicht bar jeglicher Weisheit waren – wandte sich der Mann ab und machte sich daran, die übrigen Steintische abzuwischen.

Betroffen blickte der Jäger in seinen Tee. Soviel zu seinem Plan. Konversation war nicht seine Stärke und die Sache mit den Namen hatte ihn schon mehr als einmal Nerven gekostet. Missmutig nippte er an der Schale. Das heiße Wasser schmeckte seltsam scharf. Er mochte den Geschmack. Das Zeug hatte etwas vitalisierendes. Wenn er eines Tages zur Tacblic zurückkehrte, musste er unbedingt von diesen Blättern mitbringen. Die Jägerinnen würden das mögen, da war er sich ganz sicher.

Als weitere Kunden kamen und den Jäger misstrauisch musterten, kam der Teeman wieder an seinen Tisch. Es war ihm anzusehen, dass es ihm lieber gewesen wäre, wenn das exotische Tier nun weiterziehen würde. Der Jäger kannte das und es machte ihm nichts aus. Er wusste auch, dass man in der Welt der Menschen sogar für heißes Wasser bezahlen musste und er hatte verstanden, wie das funktionierte. Auf der Tacblic war Handel eine Sünde. Hier gab es nichts ohne Handel. Aber auf der Tacblic gab man auch niemals seinen Namen preis. Hier wusste jeder die Namen aller anderen. Widerlich.

Er zahlte den Mann, indem er die Credits auf seinem Pad aufrief und zu dessen Pad transferierte. Credits konnten aus Plastik oder aus Luft sein. Die im Pad waren aus Luft. Aber sie hatten immer den selben Wert. Man konnte mit ihnen auch nichts anderes machen als bezahlen. Aber dennoch wollte jeder sie haben. Es spielte keine Rolle, ob die Menschen Teemänner, Tanzmädchen oder Vorseher waren, alle wollten sie Credits. Man bekam Credits für Taten und Dinge. So war das Prinzip. Der Jäger hatte keine Dinge, also holte er sich Credits für Taten. Und da er er ein Jäger war, waren seine Taten die Jagd. Für das Auffinden von Menschen bezahlten andere Menschen eine ziemliche Menge von Credits. Manchmal sollten die Beutemenschen lebendig sein, manchmal spielte es keine Rolle. Der Jäger hatte nichts gegen die Beutemenschen und versuchte sie darum immer lebend zu schnappen. Manchmal wehrten sie sich aber wie wilde Bestien, und dann konnte es vorkommen, dass er sie verletzte. Ein paar Mal waren welche an ihren Verletzungen verendet. Das hatte ihm dann jedes Mal irgendwie leid getan, denn er wusste, dass die anderen Menschen, die ihn für die Jagd bezahlten, die toten Beutemenschen nicht verwerteten. Sie wurden weder gegessen, noch wurde ihre Haut zu Kleidung verarbeitet. Man warf sie ins Feuer oder begrub sie unter der Erde und fertig. Das kam dem Jäger ebenso seltsam wie die meisten Sitten der Menschen vor, aber wer sollte diese Wesen schon im Kern verstehen? Er sicher nicht.

Hungrig ging er wieder auf die Straße. Er hatte keinen Proviant dabei und sah sich nach einem Röllchenhaus um. Hätte er doch nur ein Paar der süßen Röllchen mitgenommen. Ein Etcs konnte viele Tage ohne Nahrung auskommen, aber allein beim Gedanken an die Röllchen sammelte, sich Speichel in seinem Mund. Er konnte manchmal an nichts anderes denken. Die Röllchen zogen an seinem Geist. Sie waren wunderbar würzig und süß …

Er schüttelte den Kopf. Röllchen hatten die Kontrolle über sein Denken übernommen. Er nahm sich vor, nie wieder eins in seinen Kopf zu lassen, sei es durch seinen Mund oder nur in Gedanken. Dann sah er ein Stück weiter ein Restaurant (Röllchenhaus) und ging gut gelaunt und mit einem seltsam schlechten Gewissen darauf zu.

 

***

 

»Den Namen des Vorsehers kennen sie aber nicht?«

Er schüttelte den Kopf und zerdrückte ein Röllchen mit Zunge und Gaumen. Seine Augen strahlten und der Röllchenmann sagte: »Na, da scheint es einem ja zu schmecken.«

Der Jäger nickte glücklich und unterdrückte sein seltsam schlechtes Gewissen mit aller Kraft.

Mit den Ellbogen auf den Tisch gelehnt, das Pad des Jägers vor dem Gesicht, sagte der dicke Mensch, der seine Credits im Tausch mit Nahrung verdiente: »Egal, wir suchen einfach mal nach den letzten Datensätzen, die hier aufgebracht wurden.«

Der Jäger nickte und aß.

»Da ist das Ticket, mit dem Sie nach Isalatan gekommen sind.«

Der Jäger war nicht mit dem Ticket, sondern mit der Röhre hierher gekommen, aber er hielt den Mund und stopfte sich drei weitere Röllchen in den Rachen.

»Monorail von Udascha nach Isalatan. In Udascha gibt es viele Vorseher. Welcher Konzern?«

Der Jäger sah den Mann an. Er hatte kurzes, merkwürdig geringeltes schwarzes Haar. Etcs hatten weiches, seidiges Haar. Der Jäger nicht. Er hatte kaum noch Haare auf dem Kopf, aber dafür trug er stolz seinen Bart zur Schau. Am liebsten hätte er das Haar des Mannes angefasst. Auf der Tacblic hätte dies niemanden verwundert. Die Menschen empfanden so etwas aber als Grenzüberschreitung. Sie assoziierten jede Berührung mit einem sexuellen Akt und der Jäger wollte sich auch mit diesem Mann nicht paaren.

»Bitte?« machte der Jäger den Trick.

»Welchem Konzern untersteht der Vorseher?«

»Er dick und Glatze.«

Der Mann nickte und fuhr mit einem Finger über das Anzeigefeld des Pads. Dann schüttelte er den Kopf, nur um gleich wieder zu nicken. Er hatte es, der Jäger war sich ganz sicher.

»Hier, hier ist ein Kontrakt, den sie gestern aktiviert haben! Die Gegenstelle ist ein Mann namens …«

»Keine Namen«, unterbrach ihn der Jäger mit zusammengekniffenen Augen und spuckte dabei ein paar Krümel der letzen beiden Röllchen auf sein Pad.

»Aber …«

Wieder unterbrach der Jäger den Röllchenmann: »Daten öffnen, herausfinden wohin ich?«

Der andere nickte erneut und zog mit zwei Fingern einen Halbkreis auf dem Pad. Dann sagte er: »Da haben wir es, Tempel des Kraken im Stadtteil Dulai`asan.«

Der Jäger sah auf und grinste über das ganze Gesicht. Dann sagte er in seinem freundlichsten Ton: »Geht doch!«

Er bestellte noch einen Teller Röllchen und einen Is-Salat-an und zahlte großzügig die doppelte Menge der Credits, die der Röllchenmann aufrief. Als er das Restaurant verließ, winkte ihm der Mann mit den schwarzen Locken hinterher. Der Jäger mochte das breite, offene Lächeln des Mannes, aber paaren wollte er sich trotzdem nicht mit ihm.

Dulai`asan

Es dauerte nicht lange, da hatte der Jäger jemanden gefunden, der ihm sagen konnte, wo er diesen Teil der Civic, den man Dulai`asan nannte, fand. Zu Fuß sollte der Weg dorthin mehrere Stunden dauern. Der Jäger fand es immer wieder unglaublich, wie gewaltig die Civics der Menschen waren. Man konnte Stunde um Stunde gehen und befand sich immer noch in derselben Civic. Die Eisfestungen der Etcs waren gewaltig, aber keine hatte derartige Ausmaße wie eine Civic der Menschen. Gäbe es so viele Etcs wie es Menschen gab, müsste man Eisfestungen errichten, deren höchste Türme bis zu den Wolken reichten. Ein solches Unterfangen würde sicher ganze Zeitalter für seine Vollendung benötigen.

Der Jäger kam wieder einmal nicht umhin, die Gebäude der Menschen zu bestaunen. Die der Koriffen unterschieden sich auch eindeutig von denen auf Asam oder anderen Welten der Kirn. Die Menschen unterschieden sich generell untereinander. Er wusste nicht, ob das Absicht war oder ob sie nicht anders konnten. Allein die Sache mit der Farbe. Alle Ects waren violett, die Farbe der Erhobenen. Nur wenige Tiere auf der Tacblic hatten violette Haut und alle, die mit dieser Farbe zur Welt kamen, waren Jäger. Es gab keine violetten Krebse oder Erdwürmer. Die waren meist weiß oder braun oder sogar schwarz. Violett war die Farbe geschmeidiger, starker Wesen, mit seidigem Fell, Augen die durch jeden Schneesturm sehen konnten und messerscharfen Klauen.

Bei den Menschen verhielt sich das ganz anders. Die Kirn waren weiß (wie Würmer), die Shivaiten braun oder gar schwarz, die Koriffen konnten sich überhaupt nicht entscheiden und waren mal so und mal so. Und dann schien es ihnen auch noch wichtig zu sein, welche Farbe sie hatten. Peinlich berührt hatte der Jäger in seiner ersten Zeit unter den Menschen mit ansehen müssen, wie sich Vertreter unterschiedlicher Hautfarben gegenseitig schlecht behandelten. Die mit der braunen Haut hassten die Kirn, die mit der Würmerhaut hassten die Gelben (die Bewohner Fan Jen Doros wurden Gelbhäutig genannt, dabei fand der Jäger sie eher fahl) und die schwarzen hassten alle anderen. So mochten sie sich alle gegenseitig nicht, bis es zur Paarung kam. Plötzlich war es allen egal, wer sein Ding in welche Haut steckte und sie machten munter Mischfarben. Der Jäger verstand diesen Reigen nur zum Teil und war stolz, weder schwarz noch weiß (noch gelb oder fahl) zu sein, da ja Violett die einzig wahre Farbe der Jäger war. Er kannte einen alten Etcs, dessen Haut war von den Strahlen des mächtigen Scarn so verblichen, dass sie fast grau aussah. Wenn er an diesen Mann dachte, fuhr er sich traurig über die Arme und hoffte, nie so lange im Licht einer Sonne wandeln zu müssen, dass diese ihm seine Violettheit nahm.

Bei diesem Gedanken zog er seinen Mantel über die Arme und ging schneller die Straße entlang. Man hatte ihm den Weg beschrieben, aber die Civics der Menschen waren verzwicktere Labyrinthe als die kompliziertesten Keller der Eisfestungen auf Tacblic. Er hatte schon früher gelernt, dass es wichtig war, einen Einheimischen zu finden, der als Führer fungieren konnte oder noch besser einen zu finden, der ein Fahrzeug besaß und seine Credits mit der Tat des Personentransports erlangte.

Er fragte mehrere Menschen, die sich in der Nähe von Cargo Pods aufhielten, erhielt aber nur negative Reaktionen. Dann aber deutete eine junge Frau mit einem gewaltigen Busen auf die andere Straßenseite, wo ein alter Mann an ein solches Fahrzeug gelehnt, eine Pfeife rauchte. Mit dieser Frau hätte der Jäger sich durchaus gepaart, aber es schien ihm zu kompliziert, diesen Vorgang in diesem Moment und auf der Straße einzuleiten. Die Menschen waren auch in diesen Dingen sehr kompliziert. Auf der Tacblic legte man einem Paarungspartner ein Stück Fleisch vor die Füße oder packte ihn oder sie einfach im Nacken (das war hilfreich, wenn der oder die andere schlechter Laune war und ein Jagdmesser zur Hand hatte). Dann paarte man sich, oder eben nicht.

Der Jäger hatte diese Vorgehensweise einmal auf Yybcor bei einer Frau mit grüner und oranger Haut versucht und sofort hatten andere Menschen mit denselben Hautfarben auf ihn geschossen! Er hatte Liebe machen wollen und die Menschen hatten auf ihn geschossen! Später hatte er herausgefunden, dass auf Yybcor die Meschen dieser Hautfarbe den Tmene, den Herrinnen der ganzen Tanbarischen Zone gehörten, und dass man mit ihnen keine Liebe machen durfte. Zumindest nicht offiziell. Der Jäger hatte bis heute nicht begriffen, wie ein Mensch jemand anderem gehören konnte. Man konnte einen Mantel besitzen oder eine schöne steinerne Tischplatte, aber einen Jäger konnte man nicht besitzen.

Als er den Mann mit der Pfeife ansprach, musterte dieser den Jäger und deutete dann mit der Pfeife auf die Sitze des alten Cargo Pods. Der Jäger stieg ein und nannte sein Ziel und ohne ein weiteres Wort ging die Fahrt los. Der Jäger mochte den Alten auf Anhieb. Er fragte ihn, was ihn in diesem Dulai`asan erwartete, doch der Fahrer lächelte nur und zog an seiner Pfeife, die er auch während der Fahrt kein einziges Mal aus dem Mund nahm. Wahrscheinlich funktionierte die Übersetzung des Pads wieder einmal nicht ausreichend. Der Jäger hatte versucht, die Sprache der Menschen zu lernen, aber dieses Kauderwelsch kam ihm einfach nicht über die Lippen. Immer, wenn er dachte, ein Wort gelernt zu haben, traf er jemanden, der es nicht kannte. Es hatte lange gedauert, bis er herausgefunden hatte, dass die Menschen Dutzende, wenn nicht gar hunderte von verschiedenen Sprachen ihr Eigen nannten. Nur warum? Warum machten sie das? War es nicht unglaublich kompliziert, wenn nicht jeder dieselbe Sprache sprach?

Die Tacblic Etcs kannten nur eine Sprache, das Tac. Gut, die Stämme südlich des Tycos konnte man kaum verstehen mit ihrem genuschelten Tac, aber nichts desto Trotz, sie sprachen Tac. Wenn man sie ein wenig schlug und sie sich entsprechend anstrengten, war Kommunikation möglich. Er mochte die Südstämme nicht sonderlich. Sollten sie doch richtig sprechen lernen.

Aber im Gegensatz zu den Südstämmen war das, was die Menschen mit ihren Sprachen machten, wirklich unglaublich anstrengend. Wie sollte einer wie er sich je mit ihnen ohne Pad unterhalten, wenn sie im Minutentakt die Sprache wechselten. Zum Spaß drehte er den Stellknopf seines Pads auf Null und versuchte es in der Sprache der Kirn, weil er von dieser am meisten Worte kannte: »Wetter heute rot mit Kopf?«

Der Alte lachte nickend wie zuvor und deutete mit dem Finger durch die Frontscheibe des Cargo Pods. Dann sagte er etwas und der Jäger verstand nichts, weil ja sein Pad auf Null stand. Soviel zu den Sprachen der Menschen. Wahrscheinlich sprachen die Koriffen ohnehin keine Kirnmenschensprache. Bestimmt sprachen sie in Dulai`asan sogar wieder eine andere Sprache als in der Salatgegend. Verwirrend diese Menschen.

Die Fahrt dauerte nicht lange, aber die Umgebung änderte sich. Der Jäger kannte sich mit den Gebäuden der Koriffen nicht wirklich aus, aber die Häuser und Lagerhallen in der Umgebung der Röhre hatten einerseits neuer, andererseits schmuckloser auf ihn gewirkt. Die Farben waren ergrauter gewesen und überall auf den Straßen lag Schmutz. Ah, und die Dächer und generellen Formen im Salatbereich waren irgendwie kantiger und glatter. Alles dort war mehr oder weniger viereckig. Je weiter sich der Cargo Pod Dulai`asan näherte, desto kleiner wurden die einzelnen Gebäude. Die Straßen wurden ebenfalls schmaler, so dass er kurz das Gefühl hatte, der Cargo Pod, sein Fahrer und er selbst würden stetig wachsen. Er schmunzelte, weil das ja Unsinn war. Der Fahrer war ein alter Mann und die wuchsen ja wohl nicht mehr.

Schließlich veränderten sich auch die Farben. Die Hauswände waren hier oft in grün gehalten. Der Jäger wusste nicht, wie man Häuser grün machte. Zelte waren aus Stoff, da hätte er gewusst wie man sie färbt. Eben so wie man auch ein Untergewand färbt. Man fängt möglichst viele Eiskrabben, kocht sie rot, zermahlt die Panzer nachdem man alle Krabben vorher zeremoniell verspeist hatte und dann trocknete man das stinkende Zeug. Wenn es trocken war, mengte man verschiedene Flüssigkeiten darunter. Er war nicht sonderlich gut in solchen Dingen, hatte aber schon oft zugesehen. Wenn dann die Pampe fertig war, bestrich man die Stellen der Kleidung die, man rot haben wollte mit den Fingern. Sollte es roter werden, bestrich man die Stelle mehrmals. Danach war die Kleidung an besagten Stellen rot, und die Finger.

Häuser mit Fingern zu bemalen stellte er sich anstrengend und zeitraubend vor und er wollte gar nicht wissen, wie man selbst danach aussah. Das Rot der Eiskrabben brauchte oft ein ganzes Standardjahr, ehe es die Finger wieder freigab und Etcs, die der Aufgabe des Färbens oft nachgingen, hatten durchgehend rote Hände. Wobei Rot gut war. Rot war immer gut. Er überlegte, was alles rot war. Allein schon Eiskrabben waren toll. Sie waren zwar erst rot, wenn man sie kochte, aber dann so richtig und sie schmeckten gut. Dann waren natürlich Zungen rot. Zungen waren auch gut, weil man mit ihnen Eiskrabben am Gaumen zerdrücken konnte. Von Zungen kam er auf die Zitzen der Weiber. Die waren ebenfalls rot und konnten mit Zungen bespielt werden, bis sie die doppelte Größe angenommen hatten und wie Tonks an einem Hochhelm abstanden. Die Scheiden der Jägerinnen waren auch rot und damit gehörten sie zu den besten roten Sachen, die es gab. Ach und die Spitze seines Stammeserweiterers war ebenfalls rot, als hätte sich jemand was dabei gedacht. Rote Scheiden und rote Stammeserweitererspitzen, das passte so gut, wie es sich anfühlte.

Rote Masken waren auch gut. Er fragte sich, warum man etwas rot färbte, um es sexuell anziehend zu machen, denn das rot war ja wohl eine klare Aussage und auf dem Kopf eines Jägers oder einer Jägerin weithin zu sehen, wenn man damit wieder etwas verhüllen wollte, welches ebenfalls eine irgendwie sexuelle Ausstrahlung hatte. Die Etcs verhüllten ihre Stirn und ihre Augenpartie seit es sie gab. Es gab keinerlei Aufzeichnungen einer Jägerkultur auf der Tacblic, die ihre Köpfe nicht mit Masken bedeckt hätten. Man aß mit Maske, schlief mit Maske und machte überhaupt alles mit Maske. Im Laufe des Gefechts, zum Beispiel beim Stammesvergrößern, konnte es passieren, dass die Maske verrutschte oder ganz zu Boden ging, aber dann spielte es ohnehin keine Rolle mehr. Danach jedoch, war meist der erste Griff zu dem roten Leder oder Stoff. Entspannt setze man seine Masken wieder auf, zog sie sich gegenseitig zurecht und wenn welche zur Hand waren, aß man gekochte Eiskrabben danach.

Bei all diesen Überlegungen wanderten seine Gedanken zu einer ganz bestimmten, sehr roten Scheide. Er senkte den Blick und sah auf seine Füße. Füße waren hässlich und mit etwas Glück konnte ihr Anblick Gedanken von traurigen Dingen ablenken. Leider war der Fußraum des Cargo Pods eng und so konnte er seine Füße nicht richtig erkennen.

Seine Lieblingsscheide gehörte seiner Frau. Sie war die tollste Jägerin der Tacblic und er hatte mit ihr zweimal den Stamm vergrößert. Dazu hatten sie hunderte, wenn nicht tausende von Stunden damit verbracht, diesen Vorgang einzuleiten. Neben der Jagd, dem Essen und einer guten Prügelei am Lagerfeuer, war das Messer-in-die-rote-Scheide-Spiel eine der besten Sachen, die es gab. Eine Träne quoll aus seinem Augenwinkel und er rückte instinktiv die Maske zurecht, damit der Alte diesen Gefühlsausbruch nicht sah. Verdammt sollten sie sein. Sie waren aus dem Nirgendwo gekommen, hatten seinen kleinen Sohn und seine Jägerin mit sich genommen. In die Schwärze, hatten sie die beiden entführt. Und seine Tochter, sie war hinüber gegangen, weil er nicht in der Lage gewesen war, sie ohne seine Jägerin zu beschützen. Er stampfte mit dem Fuß auf und biss die Zähne aufeinander. Der Cargo Pod stotterte, als der Alte die Gravanker betätigte.

Fast eine Minute verging. Der Alte sah den Jäger an und der starrte in die Dunkelheit des Fußraumes, als könne er da unten die Geheimnisse der Sterne aufdecken. Dann sagte der Alte etwas, sog an seiner Pfeife und legte dem Jäger die Hand auf die Schulter. Langsam setzte sich das Fahrzeug wieder in Bewegung. Der Jäger verscheuchte die düsteren Gedanken, wie er es jeden Tag mehrmals tat. Dann wandte er seine Blicke der Umgebung zu und versuchte, sich zu konzentrieren. Er war auf der Reise, einer Geisterreise. Reisen bedeutete sich der Umgebung anzupassen. Nur wer überlebte, konnte jagen. Die Umgebung gab die Jagd vor. Eines Tages, würde die Reise ihn zu seiner Jägerin führen. Sie würde ihm seinen Sohn in die Arme heben und weitere Stammesmitglieder mit ihm machen. Dann würde die Reise ihr Ende finden. Daheim, auf der Tacblic.


***


Grünlich spitze Dächer neigten sich immer weiter auf die Straße zu. Graue Steinmauern umgaben die Anwesen und schienen den Verlauf der Wege gierig weiter und weiter einzudämmen. Bald waren die Straßen so eng, dass der Alte anhalten musste, wenn entgegenkommende Cargo Pods oder andere Fahrzeuge wie Ochsenkarren oder Speeder nicht ihrerseits warten wollten. Die Regeln für diesen Vorgang verstand der Jäger nicht. Einmal hielt der Fahrer des entgegenkommenden Fahrzeuges, einmal hielt der Alte. Ab und an schimpfte dieser und drohte anderen Fahrern mit erhobener Faust, dann wieder lächelte er und nickte den anderen freundlich zu. Tatsächlich geschah dies aber nicht immer, wenn man ihm den Vortritt ließ, sondern auch dann, wenn das andere Fahrzeug den Vorzug mehr oder weniger dreist erzwang. Der Jäger versuchte zu erkennen, wann genau man schimpfte und wann man grüßte, aber es gelang ihm nicht. Das war ein wenig wie die Sache mit dem Lachen. Ein Menschenkind geht über einen Bordstein und stolpert. Es schlägt sich das Knie auf. Ab einem bestimmten Alter lacht es verlegen anstelle zu weinen. Soweit konnte er diese Sache noch nachvollziehen, auch wenn er nichts peinliches darin sah, zu weinen wenn man sich verletzte. Aber die Erwachsenen um das Kind herum, die lachten hier bei den Menschen oft ebenfalls. Das konnte er überhaupt nicht verstehen. Wie konnte man lachen, wenn sich ein anderer verletzt? Und dann noch bei einem Kind. Es hatte Situationen gegeben, in denen er seinen Unmut über diese Sitte derart deutlich zum Ausdruck gebracht hatte, dass die Betroffenen wirklich viel zu Lachen gehabt hätten, aber irgendwie war ihnen dann nicht mehr danach gewesen.

Der Untergrund wurde immer hügeliger und stieg langsam an, je weiter sie kamen. Auf den Mauern standen unzählige Schalen mit Pflanzen oder die Steine waren selbst mit solchen überwuchert. Auch innerhalb der Grundstücke gab es immer mehr Grün zu sehen. Kleine Obstbäumchen wechselten sich mit gewaltigen Rankenpflanzen ab, die sogar bis zu den Dächern der Häuser hinauf reichten. Der Jäger fragte sich, warum man nicht diesen Teil der Civic Salat nannte, wo es doch hier viel mehr von dem Grünzeug zu geben schien als sonstwo.

Als der Weg schließlich immer schmaler wurde, hielt der Alte den Cargo Pod an und deutete durch die Scheibe auf zwei Gebäude auf der rechten Straßenseite. Er sagte etwas, aber der Jäger konnte es nicht verstehen, weil er vergessen hatte, sein Pad zu reaktivieren. Schnell fummelte er an dem Drehregler herum, bekam aber nur noch die letzten Worte seines Fahrers mit: »… spät. Der Tempel ist oben.«

Der Jäger nickte, legte dem Alten, wie dieser es bei ihm getan hatte, die Pranke auf seine dürre Schulter und betätigte das Pad, um die Fahrt zu bezahlen. Als der Alte die Zahl sah, die er erhalten hatte, nahm er die Pfeife zwischen seinen schiefen Zahnstummeln hervor und lachte ein seltsam keckerndes Lachen. Dabei verzog er so sehr seinen Mund, dass aus seinen Augen schmale Schlitze und überhaupt sein ganzes dürres Gesicht zu einer Fratze aus Falten wurde. Der Jäger war von dieser Veränderung überrascht und musste ebenfalls lachen, und so hockten die beiden ungleichen Gestalten in dem Cargo Pod und lachten, der eine seines Reichtums wegen, der andere, weil es dann doch meist besser war zu lachen, als zu weinen.


***


Als der Jäger auf den kleinen Platz trat, wo der Alte angehalten hatte, war die Luft schon ein wenig abgekühlt. Die Tage hier waren heiß und schwül, aber gegen Abend klärte sich die Luft meist. Er sah sich um. Es waren noch einige Leute unterwegs und er spürte deren neugierige Blicke auf sich. Die Maske zurechtrückend, schulterte er seinen Beutel und ging auf die vom Alten gezeigten Gebäude zu. Ja, er trug eine Eisharpune über dem Rücken und ja, er war wohl ein Jäger. Aber waren sie die Beute? Hier nannte man die Jäger oft Kopfgeldjäger oder Söldner. Er bekam aber seine Bezahlung nicht für Köpfe, sondern brachte meist gleich den ganzen Beutemensch. Und ein Soldat war er auch nicht. Viele Kirnmenschen waren Soldaten. Sie trugen alle die gleiche Kleidung und das nannte man Uniform. Seine Kleidung wich von allem ab, was er auf den Menschenwelten bisher zu Gesicht bekommen hatte. Allein sein weiter Abschirmungsmantel war ziemlich einzigartig. Ganz zu schweigen von seinem Hochhelm mit den sechs Visoren und den angehefteten Tonks, die in alle Richtungen abstanden. Sollten sie glotzen. Er mochte es nicht angeglotzt zu werden. Aber sollten sie eben.

Die zwei Gebäude sahen anders aus als die anderen in der Straße. Er kannte das schon. Es gab verschiedene Typen von Gebäuden. In manchen wurde gewohnt, in anderen gekocht, wie in dem Röllchenhaus. Wieder andere wurden von Leuten, wie dem dicken Vorseher genutzt. Hier traf man sich, um Entscheidungen zu treffen oder sich die anderer anzuhören. Der Jäger traf seine Entscheidungen immer selbst und gab seltenst welche an andere weiter. Diese beiden Häuser sahen für ihn in ihrer pompösen Größe, im Verhältnis zu den anderen rings um sie her, ziemlich nach dicken Vorsehern aus. Er überlegte einen Augenblick und sprach dann kurzerhand eine ältere Frau an, die unachtsam in seine Nähe gekommen war: »Ich mache Tempel.«

Die Frau erschrak und antwortete mit weit geöffneten Augen: »Sie machen Tempel?«

Der Jäger, der seine eigenen Worte nicht richtig verstanden hatte, versuchte es einfach nochmal: »Ich mache Weg Tempel.«

Die Frau sah zu Boden und dann auf die Klinge seiner Eisharpune. Dann deutete sie darauf und fragte: »Damit?«

Er überlegte, kam aber nicht darauf, was sie mit seiner Eisharpune wollte. Stattdessen sagte er: »Tempel? Weg?«

Jetzt schien sie zu begreifen. Sie nickte und ließ das mit der Klinge. Dann deutete sie mit ihren knochigen Altweiberfingern auf die beiden Vorsehergebäude. »Da geht es zum Tempel«, sagte sie und machte zwei Schritte, um dem Jäger den Weg freizugeben.

Dieser nickte und wollte der Frau die Hand auf die Schulter legen, aber als er den Schrecken ihn ihren alten Augen sah, ließ er die Hand schnell wieder sinken. Die Maske zurechtrückend ging er auf direktem Weg auf das von ihr avisierte Ziel zu. Die Leute machten ihm Platz. Niemand sprach ihn an, aber es dauerte einen Moment, bis sie seinen Anblick verarbeitet hatten und ihrer Wege gingen.

Das linke der großen Häuser hatte eine Mauer, die einen Vorhof umgrenzte. Auch hier standen überall Pflanzkübel. Den Zweck der Mauer verstand der Jäger nicht, da sie zu niedrig war, um Eindringlinge davon abzuhalten, in den Hof zu gelangen. Nicht einmal mit den Pflanzentöpfen hätten sie dieses Ziel erreicht. Er schüttelte den Kopf, als er sah, dass es ebenfalls eine große Lücke gab, durch die man ungehindert bis zur Tür gelangen konnte. Für was baute man dann überhaupt eine Mauer? Auf der Tacblic konnten Mauern gegen Eisstürme helfen. Aber hier? Gab es hier Eisstürme?

Auf der anderen Seite lag der Platz vor dem Gebäude frei. Er war mit einer sehr niedrig wachsenden Pflanzenart bedeckt und in der Mitte stand eine große Steinschale, in der sich Wasser befand. Wiederum in der Mitte der Schale, gab es eine Steinkugel, auf der ein Tier aus Stein befestigt war. Es bestand im Grunde nur aus einem runden Kopf und vielen Tentakeln. Zwischen zweien dieser Tentakel rann Wasser hervor, ergoss sich rund herum über die Kugel und landete in dem Steinbecken. Der Jäger ging zu diesem seltsamen Brunnen, schöpfte von dem kühlen Wasser und trank es begierig. Es war nicht gut, den ganzen Tag nichts zu trinken. Das machte den Sack schlaff.

Von der Wasserstelle ging ein kleiner Weg aus Steinplatten zu einer Treppe mit nur vier Stufen, an deren oberen Ende eine wirklich hohe und dafür eher schmale Tür mit zwei Türflügeln ins Innere des Hauses führte. Im Hof des anderen Gebäudes gab es auch einen Weg, aber der war ganz und gar gepflastert. Die Tür, zu der er führte, war breiter, hatte aber nur einen einzigen Flügel. Er war schon auf dem Weg, die kleine Treppe hinaufzusteigen, weil er eher das rechte der beiden Häuser als Tempel durchgehen lassen wollte, als er zwischen den Gebäuden einen weiteren Weg erkannte. Die Alte hatte gar nicht auf die Häuser, sondern auf die Lücke zwischen ihnen gedeutet. Sich seiner schieren Klugheit erfreuend, machte er kehrt, ging quer über den Salat auf besagte Lücke zu und lugte um die Ecke. Tatsächlich versperrte ihm aber eine Rankenpflanze die Sicht und er musste, ohne sein Ziel sehen zu können, zwischen den Gebäuden hindurchgehen.

Die Sonne stand schon tief und hier gab es außer ihm niemanden. Er ging unter den Ranken hindurch und war wieder einmal erstaunt, wie groß die Bauwerke der Menschen waren. Klar, man hätte gut und gerne ein halbes Dutzend dieser Häuser in eine der Eisfestungen packen können, aber wie viele Festungen gab es auf der Tacblic? Er selbst hatte acht gesehen. Es gab sicher noch einige mehr, wenn auch die im Süden kaum dazu gezählt werden konnten. Die Südstämme bauten erbärmliche Eisfesten. Die Menschen hingegen bauten, bauten und bauten und am Ende waren ihre Häuser einfach nicht mehr zählbar. Ja, entschied er, eine solche Anzahl konnte nicht mehr gezählt werden. Vielleicht könnte ein Droide diese Aufgabe noch bewältigen, Droiden konnten so etwas. Er, ein Jäger, hätte so viele Dinge nicht zählen können. Er konnte zählen. Weit sogar. Mit seinem Sohn hatte er einmal zwei Körbe voll Eiskrabben gezählt. Einfach so zur Übung. Aber es gab ja sogar mehr Menschenhäuser als Eiskrabben. War das nicht erstaunlich?

Der Tempel des Kraken

Der Weg zwischen den beiden großen Gebäuden war schmal und führte zwischen Hinterhöfen mit vielen Bäumen, Pflanzenbeeten, mehreren Teichen und kleineren Bauwerken hindurch. Die Abgrenzung bestand zum Teil aus einer niedrigen Steinmauer, auf der sich kleine Reptilien der Abendsonne aussetzten und einfachen Holzzäunen, denen man ihr Alter überdeutlich ansehen konnte. Im Gelände des linken Gebäudes arbeiteten einige Menschen an einer Art Scheune. Das Dach war wohl eingestürzt und wurde nun erneuert. Die Arbeiter schwitzten obwohl die Sonne schon fast den Horizont erreicht hatte. Sie machten trotz der schweren Arbeit einen gut gelaunten Eindruck, lachen und plauderten und verstummten erst, als der Jäger schon fast an ihnen vorbeigegangen war. Dann aber zeigten sie auf ihn und einer lief in Richtung des Hauptgebäudes. Der Jäger jedoch ging einfach weiter, denn er hatte nicht das Gefühl, irgendetwas falsches zu tun. Er wusste wohl, dass es nicht immer leicht war, die Bestimmungen der Menschen zu verstehen, aber hier hatte es nirgendwo ein Schild oder eine Absperrung gegeben. Auf Asam war er einmal in ein Sperrgebiet eingedrungen, weil ein Beutemensch sich dort versteckt gehalten hatte. Kein Spaß. Gardmen waren wie eine Horde Wilder über ihn hergefallen, hatten sogar das Feuer auf ihn eröffnet und ihn, als er sich ergeben hatte, eingesperrt und mehrere Tage befragt und wie einen Beutemenschen behandelt. Zum Glück war er ein sehr schlauer Jäger und hatte sich mit gutem Betragen retten können. Seinen Beutemenschen hatte er später anderenorts aufgespürt und geschnappt. Er schnappte alle. Er war der Jäger.

»Hey, was machen sie da?«

Die Stimme hinter ihm riss ihn aus seinen Erinnerungen und er drehte sich langsam um. Gardmen, war klar.

Drei Männer, einer in einer grünen, zwei in schwarzen Uniformen, hatten den Weg betreten und sich breitbeinig hinter ihm aufgebaut. Der Grüne hatte eine Pistole an seinem Gürtel, aber die anderen beiden trugen Gewehre in den Armbeugen und sahen irgendwie aus, als könnten sie auch mit ihren Waffen umgehen. Und dabei waren diese Leute so klein und schmal. Im Gegensatz zu ihnen war er ein Riese.

Er breitete die Arme ein wenig aus und zeigte seine Hände, ganz unbefangen, ganz freundlicher Tourist.

»Ich habe sie etwas gefragt«, bohrte der Grüne nach.

»Ich Tempel hier«, sagte der Jäger und freute sich, wie sauber die Menschenworte von seinem Pad übertragen wurden.

»Der Tempel ist zu«, konterte der Güne, der eindeutig das Sagen unter den Dreien hatte.

Der Jäger verstand nicht ganz, warum ihn das hindern sollte, diesen Weg entlang zu gehen und was sie nun von ihm erwarteten, sagte dann aber einfach: »Wann?«

Der Anführer sah den ihm zur rechten stehenden Gewehrträger an und sagte dann in etwas freundlicheren Ton: »Morgen früh, würde ich denken.«

Der Jäger neigte seinen Kopf und gab damit zu verstehen, dass er einverstanden war. Er wollte weitergehen, aber der Grüne rief: »Solange der Tempel geschlossen ist, hat dort niemand etwas verloren.«

Der Jäger, der mit sowas gerechnet hatte, breitete erneut die Arme aus und machte kehrt. Er wunderte sich, dass sie nicht seine Identifikation wollten oder sonstige Schikanen machten, aber am Ende begleiteten sie ihn nur auf den Platz vor den beiden Gebäuden, musterten ihn noch eine kurze Weile und als die Sonne immer längere Schatten warf, verschwanden sie in der breiteren der beiden Türen.

Der Jäger stand auf dem Platz und sah sich um. Kein Röllchenhaus und auch sonst kein offensichtliches Restaurant. Er ging aufs Geratewohl in eine der Seitengassen und fand tatsächlich auf Anhieb ein Haus, in dem gekocht wurde. Er kehrte ein und bekam heißes Wasser, in dem lange weiße Fäden schwammen. Zuerst fingerte er die glitschigen Dinger skeptisch aus der Brühe, aber das Ganze schmeckte würzig und machte satt. Also bestellte er eine zweite Schüssel und schlürfte sie leer, sobald er mit der ersten fertig war. Bedient wurde er von einer gut aussehenden Menschin, deren Röte er sich gerne angesehen hätte, aber er wusste nicht, wie man hier auf eine entsprechende Ansprache reagieren würde und er wollte keinen Ärger, also beließ er es schweren Herzens bei der Glibberschlangenbrühe.

Nachdem er sich gesättigt und Menschen mit Credits glücklich gemacht hatte, trat er wieder auf die Gasse hinaus. Die Sonne war nun untergegangen, aber das war ihm ohnehin lieber. Wer wollte schon graue Haut? Unschlüssig ging er auf den Platz zurück. Nun waren nur noch drei Menschen hier und auch diese schienen sich gerade voneinander zu verabschieden. Seltsam, wie friedlich ihm dieses Dulai`dings jetzt vorkam. Man konnte von seinem Standort zwar nur einen Teil des Hügels sehen, aber hinter den Gebäuden erhob sich eine schöne Landschaft aus grünen Feldern und niedrigen Gewächsen, über die er gelernt hatte, dass an ihnen Beeren wuchsen, aus denen man ein wunderbar süffiges Gebräu herstellte. Malerisch irgendwie. Er hatte einmal gehört, dass man mit einem Pad Bilder aufzeichnen konnte, aber er wusste nicht wie, also versuchte er es gar nicht erst und prägte sich den Anblick der allerletzten Sonnenstrahlen am Rande des Hügels ein.

Als es endlich ganz und gar dunkel geworden war, setzte er sich an eine der Mauern eines Hauses auf den Weg und zog die Beine ein. Kurz meditierte er und versuchte, Kontakt mit den Geistern aufzunehmen, aber diesen schien es noch zu früh zu sein, also ließ er es dabei und schloss stattdessen die Augen. Sein Geist wanderte durch die Umgebung und sah sich alles noch einmal an. Orte, an denen man sich verstecken konnte, Fluchtwege, das Restaurant, die Menschenfrau, ihre Sitzbacken, ihren Nacken, ihre Brüste. Eingeschlafen hatte er dann doch noch Bekanntschaft mit der Röte dieser Frau, und dass ohne jegliche Probleme und mit ihrem vollsten Einverständnis.


***


Er schlief noch so tief, wie ein Jäger der Tacblic eben schlafen konnte, als sich ihm ein Menschenmann näherte. Vorsichtig löste er sich aus der Umarmung der schönen Frau aus dem Restaurant, legte sie ab und fragte sich, wie oft Menschenfrauen wohl mit fremden Jägern auf der Straße übernachteten. Dann legte er unter seinem Mantel die Hand auf den Griff seines Jagdmessers und wartete ruhig ab.

Der Fremde bückte sich über ihn, betrachtete ihn, murmelte leise etwas und legte dann ein kleines viereckiges Ding vor ihn hin. Als er sich wieder aufgerichtet hatte, wandte er sich um und ging langsam den Weg hinunter.

Der Jäger öffnete die Augen und betrachtete das Ding auf den Steinplatten vor sich. Es war ein Credit Plex. Der Kerl hatte ihm einen Credplex hingelegt. Der Jäger richtete sich auf und betätigte sein Pad. Es waren dreißig Credits auf dem Plex. Das Ding war offensichtlich alt, denn seine durchsichtige orangefarbene, irgendwie stumpf gewordene Oberfläche wies viele Kratzer auf. Warum hatte der Mann das getan?

Gerade wollte er aufstehen, als ein anderer Mann, ein älterer Mensch mit einem großen Rückentornister und einem Packen langer unregelmäßiger und sehr wohlriechender Stangen unter dem Arm, um die Ecke der Seitengasse getreten kam, abrupt stehen blieb und kompliziert an seinem Arm zu fummeln begann. Er stützte die Stangen mit dem Knie ab, indem er sich auf die Zehenspitze stellte und das ganze Bündel drohte ihm aus der Armbeuge zu kippen. Der Jäger wollte schon aufstehen, aber der Mann lächelte verkniffen und brachte so zum Ausdruck, dass alles in Ordnung sei. Dann hatte er es endlich geschafft, sich so zu verrenken, dass es ihm möglich geworden war, mit dem freien Handgelenk nahe genug an die besetzte Hand zu gelangen, um sein Armbandpad zu bedienen. Es gab ein leises zischendes Geräusch von sich und der Mann sagte vor Anstrengung gepresst: »Zehn!«

Im selben Moment glomm der Credit Plex orange auf, der nach wie vor zwischen den Knien des Jägers am Boden lag. Zufrieden richtete sich der Duftstangenmann auf und wollte sich selbstgefällig abwenden, doch dann sah er den Jäger mitleidig an und deutete mit dem Kinn auf den Packen unter dem Arm. »Aber nur eins«, sagte er seltsam streng, als spräche er mit einem Kind.

Der Jäger langte nach der Stange, die am weitesten aus dem Packen ragte und berührte sie mit den zwei Daumen seiner rechten Hand. Vorsichtig zog er daran und der Mann glich die Bewegung geschickt aus. Zufrieden gelang es den beiden ungleichen Wesen, die Stange herauszuziehen, ohne den restlichen Packen zu destabilisieren. Weißer Staub rieselte hervor und der Jäger lächelte breit. Dann sagte er: »Grundsätzlich!«

Der Mann zog die Lider hoch und machte eine fragende Fratze. Dann lächelte er und nickte. Als er sich abwandte, sagte er: »Gern geschehen«, und ging seiner Wege.

Der Jäger fragte: »Was geschehen? Hilfe?« aber der Mann war schon in ein anderes Multiversum eingetaucht und folgte seiner ihm eigenen Zeitlinie, die mit der des Jäger ganz offensichtlich nichts weiter zu tun hatte.

Seltsam gerührt von der Szene roch der Jäger an der Stange. Sie war weich und irgendwie brüchig. Als Waffe konnte man sie nicht benutzen. Er hatte schon etwas in dieser Art gegessen, aber es war flach und rund gewesen. Warum sollte man das leckere Zeug aber nicht auch lang und dünn machen können? Vorsichtig steckte er eine Spitze der Stange in den Mund und lutschte daran. Es schmeckte mehr oder weniger nach nichts. Das gehörte so. Erst als er mit einem seiner Hauer ein Loch in die Kruste drückte, den entstandenen Spalt nutzte, diesen abzubrechen und dann genüsslich auf dem langsam entstehenden Brei herum kaute, entwickelte sich das typische Aroma dieser Dinger. Er fragte sich, wo sie wuchsen oder wie man sie herstellte. Das Zeug schmeckte zuerst eher nichtssagend, dann aber wurde es seltsam zurückhaltend süß und machte einfach gute Laune. Es war wie eine Art Droge und er beschloss, es sehr zu mögen. Er würde danach Ausschau halten, wie nach den Röllchen, denn er liebte Röllchen und Stangen (und hierbei war ihm die From egal, aber von nun an würde er das Zeug der Einfachheit halber Stangen nennen), liebte er nun auch. Wie Stangen wohl zu Glibberschlangenbrühe schmecken würden?

Bling machte es, als eine Frau an ihm vorbei schlenderte.

Er erschrak dermaßen, dass er tatsächlich husten musste. So vieles war falsch an dieser Situation. Er hatte die Frau erst bemerkt, als sie ihm schon ihren Jagdspeer hätte in die Flanke rammen können! Beute, er war Beute. Die Stange hatte ihn zur Beute gemacht. Außerdem hatte er sich gehen lassen und ein Geräusch von sich gegeben, welches überhaupt keinen Nutzen hatte. Die Jäger der Tacblic furzten sogar tonlos. Geräusche machten Aufmerksam und Aufmerksamkeit stand nur dem Jäger zur Verfügung. Nicht falsch verstehen. Lautes Furzen machte nicht aufmerksam, es zog Aufmerksamkeit auf sich! Dasselbe galt für Husten. Wenn man sich verschluckte, starb man gefälligst leise. Entweder schaffte man es, die Luftröhre geräuschlos zu befreien oder man verendete möglichst ohne Zucken (Bewegungen zogen ebenfalls Aufmerksamkeit auf sich) und am wenigsten hustete man.

Die Frau murmelte etwas, der Plex leuchtete auf und der Jäger stierte der davon wackelnden Frau hinterher. Er räusperte sich, bis die Reste des Stangenbreis aus seiner Luftröhre heraus waren und er sich vom Griff der Geister befreit hatte. Tot durch Stangenbrei und Schleichfrauen, er sah die Geister vor sich, wie sie über ihn lachten. Man konnte alt werden wie ein Stein und immer wieder verhielt man sich wie das neueste Stammesmitglied.

Vorsichtig, er wollte jetzt keine Risiken eingehen, erfasste er mit seinem Geist die Umgebung. Da waren mehrere Männer am einen Ende des Platzes, ein Mann und eine Frau in einer der Seitengassen, drei Gardmen, die gerade aus dem linken der großen Gebäude kamen und ein dünner junger Mann, der in das andere hinein ging. Es war noch früh, aber die Koriffen schienen die Kühle dieser Tageszeit zu schätzen. Kinder sah er keine. Er löste sich von seinem Körper und erkundete die weitere Umgebung. Menschen erwachten, paarten sich, gurgelten mit Wasser in ihren Hälsen, stritten, küssten, bestiegen Cargo Pods, aßen Stangen, zogen sich an, kamen nach Haus, zogen sich aus, schimpften mit Kindern, jammerten, schrien, legten sich noch einmal hin, nachdem sie gepinkelt hatten, klapperten mit Türen und furzten ohne Zurückhaltung, wie die Beute, die sie eben waren.

All diese Gerüche und Geräusche wanderten durch seinen Schädel und zogen seine Maske auf die linke Seite. Da war auch der schwere Schmuck aus Knochen, den seine Jägerin ihm gemacht hatte. Er rückte die Maske zurecht und küsste sie dafür in Gedanken. Er hatte ihr gesagt, die Maske würde sich verziehen, wenn nur auf der einen Seite schwerer Schmuck hing, aber sie hatte gelacht und ihn ein neues Stammesmitglied genannt. Die Maske hatte sich verzogen. Jeden Tag. Bestimmt einhundert mal pro Tag. Er rückte sie immer und immer wieder zurecht, berührte die kleinen schweren Knochen und dachte an seine Jägerin. Sie war die einzige, die ihn zur Beute haben konnte. Er stand gequält auf und rieb sich die Augen.

Als er erneut sein Pad bediente, zeigte das Plex fünfundvierzig Credits an. Die Frau hatte tatsächlich ebenfalls Credits auf das Ding geladen. Aber warum? Er beschloss ihr hinterher zu gehen und sie zu fragen, packte seine Ausrüstung und furzte leise, hoch erfreut, dass wenigstens dies noch funktionierte. Gerade wollte er die Frau verfolgen, da gewahrte er die Gardmen auf der anderen Seite des Platzes. Sie unterhielten sich eindeutig über ihn. Er konnte sie zwar auf die Entfernung nicht hören, geschweige denn verstehen, aber er wusste es instinktiv, gleich würde es Ärger geben. Der Frau zu folgen würde die Entscheidung herbeiführen. Eindeutig: das war ihre Frau, nicht seine. Er hätte sie nur gefragt, was es mit dem Plex und den Credits auf sich hatte, aber solche Situationen waren in der Welt der Menschen komplizierter als auf der Tacblic und konnten schnell zu chaotischen Flucht- und Kampfsequenzen führen, die nicht selten mit schnellen Abreisen und dem Aufgeben laufender Aufträge einher gingen.

Ohne ein weiteres Zögern besiegte er seine Neugierde, biss möglichst unschuldig ein großes Stück von seiner Stange ab und kaute mit kreisenden Bewegungen seines Unterkiefers, die Morgensonne genießend darauf herum. So machten es Beutetiere. Sei ein harmloses Beutetier und wiege die Jäger und andere Beutetiere in Sicherheit. Deine Zeit kommt, wenn ihre Aufmerksamkeit von dir ablässt. Dann kamen die drei auf ihn zu.

»Es ist nicht erlaubt, auf dem Platz zu betteln Fremder«, sagte der erste, der sich breitbeinig vor ihm aufbaute.

Der Jäger verstand leider nicht, was der Mann von ihm wollte. Irgendetwas war wieder einmal verboten, soviel war klar, doch was genau, wusste er nicht. Er sah dem Mann in die Augen, wie man es bei einer scheuen Beute machte, um sie zu beruhigen. Niemand wollte stressgeplagtes Fleisch essen.

»Haben sie mich verstanden? Hier ist betteln verboten. Identifikation?«

Der Jäger hob sein Pad an und übertrug seine Daten. Einer der anderen beiden Männer prüfte sie und murmelte dem ersten etwas zu. Sie machten eigentlich einen gelassenen Eindruck, aber jetzt stieg ihre Anspannung. Der Jäger konnte so etwas riechen. Das lag an seinen Daten. Da war irgendwie sein Status als Jäger, beziehungsweise Kopfgeldjäger/Söldner vermerkt. Eigendlich ja blöd, wenn es die Leute doch aufregte, diese Dinge zu wissen. Warum machte man so etwas? Manchmal hatte er das Gefühl, die Menschen wollten gestresst sein. Sie taten alles, diesen Zustand möglichst oft und sinnlos herbeizurufen.

»Söldner, darum die schwere Bewaffnung. Wurde die Waffe korrekt angemeldet?« Die Frage war nicht an den Jäger, sondern an den Datenauslesermann gerichtet.

Dieser nuschelte etwas, nickte aber und der Jäger war zufrieden. Man musste Waffen nicht überall anmelden, aber die Koriffen wollten es. Als er im Arm Perif Raumhafen angekommen war, hatte er eine langwierige und für ihn ungewollt stressige Prozedur über sich ergehen lassen müssen. Sie hatten ihn auf Krankheiten untersucht und er hatte einen ganzen Tag in einer Quarantänestation verbracht. Andere Reisende, die mit dem selben Schiff gekommen waren und sogar solche, die eine sehr unregelmäßige Anzahl von Augen aufgewiesen hatten, mussten diese Prozedur nicht über sich ergehen lassen. Er hatte gefragt, warum er und nicht die, sogar die mit den vielen Augen, aber niemand hatte ihn verstanden, weil weder sein, noch deren Pad in der Lage gewesen waren, Tac in die Sprache der Koriffen zu übersetzen. Also hatte er sich ruhig verhalten, hatte sich die Gesichter der Vielaugen gemerkt, denn er gab ihnen irrational eine Mitschuld an der Situation und alles still über sich ergehen lassen.

Im Verlaufe dieser Aktion hatte man ebenfalls seine Bewaffnung geprüft und einen entsprechenden Datensatz an seine Identifikation angehängt. Sie nannten das Freigabezertifikat. Es bedeutete wohl, dass seine Waffen zwar gefährlich, aber nicht zu gefährlich waren. Mit einer Eisharpune konnte man einem Dogomba ein ordentliches Loch in den Pelz brennen, aber der Jäger hatte verstanden, wie es um die Maßstäbe der Waffengefährlichkeit stand. Löcher in Beutetieren waren eine Sache, zu gefährlich waren aber erst Löcher an Stellen, wo vorher Gebäude gestanden hatten. Da würde man eine wirklich ziemlich große Eisharpune brauchen. Die Fremdlinge, die seine Jägerin entführt hatten, setzten damals eine schwere Fluidkanone gegen die Stämme der Etcs ein. Hatte ihnen nicht geholfen. Die Köpfe der meisten steckten jetzt auf Schneemännern und dienten als Kommunikationshilfe für die nächsten Fremden, die sich nicht an die Regeln halten wollten.

Dann waren sich die Drei plötzlich einig. Der Erste sagte: »Also, halten sie sich an die Gesetze und lungern sie hier nachts nicht auf der Straße herum.«

Dann wandten sie sich ab und der dritte, der bisher am ruhigsten geblieben war, sagte etwas über die Schwester des anderen und fing sich einen freundschaftlichen Faustschlag auf die Schulter ein. Der Jäger war stolz auf seine immer besser werdenden Sprachkenntnisse.

Noch ein Stück Stange kauend, machte er sich auf den Weg über den Platz. Er hatte einen Auftrag und er würde ihn erfüllen. Die Gassen füllten sich langsam und er ging davon aus, dass der Tempel dann wohl auch öffnen würde. Wenn die Leute kamen, musste er ja wohl öffnen. Er hatte die andere Seite fast erreicht, als er stehenblieb.

Langsam schlenderte er zu seinem Schlafplatz zurück und hob das Credit Plex auf. Auf der Tacblic war es eine Schande, ein Geschenk ungewürdigt zu lassen.


***


Als er dieses Mal den Weg mit den kleinen Steinmauern entlang ging, gab es wieder Arbeiter und diesmal sogar in beiden Betriebshöfen. Tatsächlich lief auch wieder einer der jungen Männer im linken Hof zu der dortigen Hintertür und verschwand im Gebäude. Der Jäger beschleunigte seine Schritte, ohne dabei in Trab zu verfallen, wie er es getan hätte, wenn er eine Herde Beutetiere in den westlichen Schneefeldern verfolgte. Dennoch wollte er möglichst weit kommen, ehe er erneut angehalten würde und dann am Ende noch eine Nacht auf dem Platz verbringen musste. Der Drang, seinen Auftrag schnell zu erfüllen, war nicht einmal maßgeblich, es war eher seine angeborene Neugierde, die in antrieb. Er wollte jetzt endlich wissen, um was es überhaupt ging. Doch er hätte sich überhaupt nicht beeilen müssen. Niemand hielt ihn an, niemand kam hinter ihm her und er ließ den Weg und die Arbeiter in den Hinterhöfen unbehelligt hinter sich.

Dass er es geschafft hatte, bemerkte er, als er von dem schmalen Weg auf einen weiteren Platz gelangte. Allerdings gab es hier nur ein einziges Gebäude und mehrere weitere Wege, die in die Natur führten. Das Gebäude war klein und hatte ein Dach aus grün gefärbten Ziegeln. Es sah sehr alt aus und er fragte sich eine Sekunde lang, ob das etwa der Tempel sein konnte, doch dann sah er, mit dem Blick dem mittleren der weiterführenden Wege folgend, den Hügel hinauf und erkannte seinen Irrtum. Dort oben, noch fast einhundert Schritte entfernt, erhob sich ein zwar verhältnismäßig flaches, aber dafür mit mehreren Türmen ausgestattetes Gebäude, dessen schiere Größe und Bauweise es zweifelsfrei von allem unterschied, was er hier bisher zu Gesicht bekommen hatte. Er schnalzte mit der Zunge und machte sich auf den Weg.

Auf den schmalen Pfaden flüchteten kleine graue Echsen vor ihm. Die ersten Insekten umschwirren seinen Kopf und er atmete die frische Luft ein. Er hatte schon viele Welten bereist, konnte sich aber immer noch nicht so recht daran gewöhnen, durchatmen zu können, ohne dass seine Lungen vor Kälte brannten. Die Sonne stand noch sehr tief, als er die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte und zwei weitere Personen von rechts einen der anderen Pfade heraufkommen sah. Er wollte sich nicht seltsam verhalten und ging darum gemessenen Schrittes, damit die anderen die Möglichkeit hatten, zuerst oder zumindest gleichzeitig mit ihm bei dem imposanten Gebäude anzulangen. Es war eine ältere Frau und ein Junge, soweit er dies vermuten konnte. Junge Menschen waren noch schwieriger in ihrem Geschlecht zu bestimmen als erwachsene. Bei vielen Menschen hatte er dieses Problem nicht. Entweder roch er ihr Geschlecht oder ihre optischen Attribute verrieten es ihm. Aber dann gab es da wieder eine Riege von Zeitgenossen, die seltsam androgyn daherkamen, Er musste aber zugestehen, eine Jägerin in voller Rüstung war ebenfalls kaum von einem Jäger zu unterscheiden und in der Kälte der Tacblic oder gar mit einem Hochhelm über dem Kopf war es auch kaum möglich, so etwas geruchlich zu verifizieren.

Doch, das war ein Junge. Oder doch nicht? Die Haare waren lang, aber Menschenjungen trugen auch manchmal sehr lange Haare. Brüste gab es keine und die Figur war ganz und gar geschlechtsneutral. Zu riechen gab es nur die Alte und die dafür zu Genüge. Egal.

Er kam dann doch nicht mit den beiden an, denn sie hatten ihre Schritte verlangsamt, als sie ihn in seiner Ausstattung entdeckt hatten. Das Gebäude hatte keinen echten Vorhof, nur einige wieder einmal niedrige Mauern, die sich im Nichts verloren und somit keinen Zweck hatten. Dann gab es einen Platz, auf dem die Wege zusammenkamen und von dem eine breite Treppe aus sehr schiefen Steinen hinauf zum Tempeltor führte. Die Stufen sahen noch älter als das Gebäude selbst und der Jäger schloss aus dieser Feststellung, dass es vor dem Tempel ein anderes Gebäude auf dem hiesigen Fundament gegeben haben musste. Er war nicht unbedingt ein professioneller Baumeister, hatte aber schon oft in seinem Leben an der einen oder anderen Eisfestung gearbeitet. Er konnte alte von neuen Gebäudeteilen unterscheiden, da gab es kein Vertun.

Jetzt kamen auch die Alte und ihr Begleiter an. Etwas schüchtern blieben die beiden stehen, warteten, bis der Jäger ihnen Platz machte und sahen dabei ein wenig aus, als rechneten sie ebenfall damit, von ihm gefressen zu werden. Beinahe hätte er gesagt, er esse keine Menschen, dann musste er aber an den Zwischenfall auf Poin`Khali denken und hielt lieber den Mund.

Einen Moment lang starrten die beiden ihn an, dann senke der vermeintliche Junge, der Jäger hatte immer noch keine eindeutige Entscheidung getroffen, den Blick. Die Alte sog ihre Unterlippe ein, um sie zu befeuchten und schmatzte nervös. Ohne es zu bemerken tat es ihr der Jäger nach. Da lächelte die runzelige alte Menschin und um ihre Augen entstanden Kränze von kleinen Fältchen. Ihre Augen leuchteten und der Jäger erkannte, wie schön sie in ihrer Blüte gewesen sein musste.

»Willkommen«, sagte er, als wäre er der Herr oder Besitzer dieses Ortes. Er kannte die korrekte Grußformel der Koriffen nicht und fand, dass man überall willkommen sagen konnte. Die Alte nickte erfreut und strich ganz offensichtlich gefressen werden von der Tagesordnung. Der Junge/Mädchenjunge, blickte schüchtern zu Boden und konnte sich nicht so einfach von der Sache des Gefressenwerdens trennen. Andererseits roch er/sie nicht nach Angst.

Die schwere grüne Tür knarrte und eine Stimme erscholl aus dem entstandenen Spalt in ihrer Mitte: »Hier ist betteln verboten. Verschwindet!«

Die Stimme gehörte einem Mann. Beide Türflügel öffneten sich ächzend weiter und gaben die Sicht auf den Sprecher frei. Die Alte sank etwas weiter in sich zusammen und auch der Junge machte einen Schritt zurück. Der Jäger wandte sich dem Tempeltor zu und sah sich den unfreundlichen Kerl an. Dieser war nun aus dem Schatten des Eingangs getreten und hatte sich breitbeinig vor den drei Besuchern aufgebaut. Er trug eine weite helle Hose, eine grünes Oberteil mit weißen, quadratischen Ornamenten und eine ebensolche Kappe. Seine Haut war seltsam bleich und machte einen irgendwie aufgequollenen Eindruck. Zu viele Röllchen und Stangen und zu wenig Jagd, beschloss der Jäger in Gedanken.

»Habt ihr mich nicht gehört? Verschwindet!«

Der Jäger erkannte nun, dass der Unfreundliche nur die alte Frau und den Jungen oder die Jungin oder was auch immer meinte. An ihm, dem Jäger, sprach er vorbei. Er hatte sogar eine Hand leicht erhoben, als wolle er zeigen, warte Jäger, ich muss mich zuerst um das Ungeziefer kümmern, ehe ich dich gebührend empfangen kann.

Der Jäger sagte: »Ich hier.«

Die Alte sagte: »Wir wollen nicht betteln, wir sind zum Beten hier.«

Der Mann sagte: »Heute nicht.«

Der Jäger: »Wann?«

Die Frau: »Aber es ist wichtig.«

Der Mann etwas freundlicher: »Mag sein, aber heute geht es nunmal nicht.«

Die Alte schluckte und hob eine ihrer dürren Hände. Es war eine seltsam machtvolle Geste, fast wie eine Beschwörung. Dann sagte sie: »Bitte Herr Tempeldiener, es wird nicht lange dauern.«

Der Mann sah kurz den Jäger, dann wieder die Frau an. Jetzt sah er sie mit anderen Augen. Er nickte knapp und schob die Tür ein Stück weiter auf. Die Alte schlurfte an ihm vorbei und der Junge duckte sich, ebenfalls eintretend.

Der Tempeldiener rieb sich die Stirn und sah den Jäger an. Dann sagte er gepresst: »Sie sind der Söldner.«

Dieser antwortete gelassen: »Jäger.«

Der Mann nickte knapp und sagte: »Willkommen im Tempel des Kraken. Mein Name ist Jardon Pantec, ich bin Tempeldiener des hiesigen Tempels.«

Der Jäger sagte: »Ich der Jäger.« Er fand zwar, dass es seltsam war, Dinge zu erläutern, die eindeutig waren, aber wenn der feiste Mann mehrfach beschreiben wollte, dass er der Tempeldiener dieses Tempels und keines anderen war, dann handelte es sich bei dieser Vorstellung sicher um eine Art Ritual und der Jäger respektierte Rituale, so seltsam und sinnlos sie auch sein mochten. Also stellte auch er fest, er war der Jäger, auch hier.

»Die Priesterin erwartet sie schon. Darf ich sie bitten mir zu folgen?« fragte der Feiste und schob die Tür noch ein Stück weiter auf.

Der Jäger versuchte, sich an ihm vorbei zu drücken, aber der Arm des Mannes war nicht lang genug, die Tür so weit aufzudrücken, um dem Jäger den nötigen Platz zu bieten. Umständlich versuchte es der Jäger dennoch und schob dann kurzerhand den anderen Türflügel weiter auf und ging in das kühle Gebäude. Der Tempeldiener folgte ihm.

Der Innenraum war größer und bedeutend höher, als man von außen hätte vermuten können. Dieser Eindruck rührte von den vielen Treppenstufen her, welche ringsherum von den Wänden zu dem, um mehrere Meter tiefer liegenden Boden führten. Wie eine umgekehrte Pyramide senkte sich das Innere des Tempels unter das Bodenniveau des Hügels. Das Deckengewölbe ragte somit allein schon der Vertiefung wegen bedeutend weiter hinauf, als es den äußeren Schein gehabt hatte. Getragen wurde die Decke von seltsam knotigen, an die Rippen gewaltiger Meerestiere mahnenden Säulen, die in kurzen Abständen den ganzen ovalen Raum säumten. Die Decke lief in eine merkwürdig runde Form aus und hatte etwas von einer umgekehrten Pfanne. Dort oben hatte man wundersame Gemälde angebracht und der Jäger konnte sich nicht vorstellen, wie das vonstatten gegangen sein konnte. Die Maler hatten sicher mehrere Tage in unmöglichen Positionen in schwindelnder Höhe arbeiten müssen und ihm tat schon beim Gedanken an diesen Vorgang der Nacken weh. Nicht, dass er sich mit der Kunst des Malens ausgekannt hätte. Vielleicht hatte man sie auch an Seilen an der Decke befestigt und sie hatten da gehangen, malend, schaukelnd. Ihm wurde schlecht.

Schnell zwang er seinen Blick nach unten. Am Boden des Hauptraumes gab es Holzbänke. Viele Holzbänke. Auf einer der ersten kauerte die alte Frau und der Junge. Sie hatten die Ellbogen auf die Lehnen der vor ihnen befindlichen Bank gelegt und beteten zu ihren Geistern. Sie baten um Gnade, um Hilfe, versuchten Wunder zu erwirken, wo niemals eins geschehen würde. Der Jäger hatte diese Art der Menschen schnell erkannt. Verstehen konnte er sie nicht. Sein Volk betete nicht in der Absicht, diese um Hilfe zu bitten zu den Geistern. Stattdessen bezeugte jeder Tacblic Etcs den Geistern immer und immer wieder sein Verständnis um ihre Existenz. Nicht mehr und nicht weniger erlaubte es der Glaube der Jäger. Die Geister gewährten keine Gnade und sie halfen nicht, wenn man sie um Hilfe bat. Jede Jägerin, jeder Jäger, jedes Kind waren selbst für das eigene Schicksal verantwortlich. Es war unumgänglich den Geistern Respekt zu erweisen und sie als Urgewalten anzuerkennen. Aber darüber hinaus, hielt man besser den Mund.

Der Jäger verachtete die Menschen nicht für ihr Bitten und Flehen, vielmehr hatte er Mitleid mit ihrem Unverständnis. Wie sehr sie sich auch immer am Boden winden mochten, die Geister würden immer elementar und unerbittlich bleiben. Da sollte man doch seine Zeit besser auf die Jagd konzentrieren.

Am anderen Ende des ovalen Raumes befand sich ebenfalls auf Bodenniveau eine flache Stelle. Hier gab es keine der alten und irgendwie morsch wirkenden Holzbänke. Stattdessen war der Boden hier mit etwas bedeckt, dass wie kleine grüne und weiße Glasplatten aussah. Im Zentrum dieses Freiraumes von etwa fünf mal fünf Schritten klaffte eine dunkle Öffnung, in der eine weitere Treppe in einen noch tiefer gelegenen Bereich des Tempels zu führen schien. Die Stufen dieser Treppe mussten schwarz sein, denn sie waren fast nicht als Stufen zu erkennen in der Dunkelheit.

Überhaupt war das ganze Innere des Gebäudes recht düster. Es hingen zwar mehrere Feuerbecken von der Decke, aber sie waren erloschen und spendeten kein Licht. Das wenige Licht, das es gab, quoll wie ein träger Nebel grünlich durch schmale Glasfenster zwischen den Säulen und schienen die Atmosphäre innerhalb des Gebäudes wie eine Art Gift zu belasten. Technische Lichtquellen irgendeiner Art schien es nicht zu geben.

In den Eisfestungen der Tacblic gab es weder Glasfenster noch Lampen oder Feuerbecken. Nachts war es dunkel und tagsüber musste das Licht, welches durch die wenigen Öffnungen ins Innere drang, ausreichen. Hinzu kamen die riesigen Lagerfeuer, die man an beliebigen Stellen innerhalb der Festungen unterhielt. Manchmal trafen sich vier oder noch mehr Stämme gleichzeitig in einer der Festungen und wurden von Eisstürmen über lange Zeiträume hier eingesperrt. Dann suchte sich jeder Stamm einen großen Raum und machte dort sein eigenes Feuer. Ab und an besuchte man sich gegenseitig und oft wurde auf diese Weise auch das eine oder andere neue Stammesmitglied gezeugt. Ob hier in diesem Tempel auch Stammesmitglieder gezeugt wurden? Der Jäger kratzte sich am Sack.

»Bitte hier entlang«, sagte der feiste Tempeldiener und ging auf den oberen Stufen um den Hauptsaal herum, die betende Alte und ihren Jungen ignorierend. Man konnte den ganzen Raum umrunden und beim Nähertreten erkannte der Jäger, dass es gegenüber des Eingangs drei weitere Türen gab. Sie schienen alle in denselben Raum zu führen, da sie sehr dicht nebeneinander angebracht waren. Alle drei Türen waren aus dem selben Holz wie die Bänke, wirkten ebenso alt und morsch und ihr grüner und weißer Anstrich blätterte an vielen Stellen ab und wirkte generell verblasst und abgegriffen.

Der Tempeldiener dirigierte den Jäger zur mittleren Türe und öffnet sie ihm. Knarrend bewegte sich das schwere Holz nach innen und gab den Blick auf einen mehrere Meter langen Gang frei. Instinktiv kam in dem Jäger ein ungutes Gefühl auf. Der Gang endete bei einer weiteren Tür, aber er war eng und hatte weder Fenster noch eine Beleuchtung. Dunkelheit machte ihm nichts aus, aber Gegner dachten oft, Dunkelheit wäre ein guter Einstieg zu einem Angriff und somit waren enge Gänge, die wie Fallen wirkten und auch noch dunkel waren, aus der Sicht des Jägers potenzielle Orte, an denen man mit Angriffen zu rechnen hatte. Er überdachte kurz den Mann hinter sich. Feist, kraft- und waffenlos hatte er ihm nichts entgegenzusetzen. Aber die Menschen waren oft sehr verschlagen und arbeiteten gerne mit versteckten Waffen, Giften oder anderen Tricks, wenn sie ihre Gegner nicht auf direktem Wege überwinden konnten.

»Hrm«, machte der Jäger und trat in den Gang. Der Tempeldiener verzichtete auf einen Angriff von hinten und wartete, bis sein Gast die andere Seite des Ganges erreicht und die Tür aufgedrückt hatte. Erst als vom angrenzenden Raum etwas Licht in den schmalen Gang flutete, kam er hinter dem Jäger her und schloss seine Tür. Gute Entscheidung, dachte der Jäger.

Das angrenzende Zimmer war klein. Ein Tisch nahm fast seine ganze Fläche ein und der Jäger musste dicht bei dem Tempeldiener stehen. Er konnte den Mann riechen. Er ernährte sich nicht gesund und stank nach Krankheit. Unsicher, definierte der Jäger den Geruch und entschied sich für Fisch.

Mit seiner massiven tief schwarzen Platte war der Tisch ein wahres Monstrum seiner Art. Er war völlig leer, aber der Jäger kannte das schon. Tische konnten so alt und untechnisch aussehen wie sie wollten, am Ende hatten sie doch die Funktionen von Pads.

Auf der anderen Seite des Tischgebirges gab es einen Stuhl aus ebenfalls altem und grün-weiß lackiertem Holz. Die Lehne des Stuhles reichte fast bis zur Decke des allerdings, verglichen mit der Gebetshalle, recht niedrigen Raumes. Ihre üppigen Verzierungen stellten mehrere nackte Frauen dar, die alle gleich aussahen, in der Umarmung mit einem grotesken Tentakelwesen, dass nur aus Kopf und Armen zu bestehen schien. Die Frauen waren mit unglaublich riesigen Hintern dargestellt, um welche das Wesen seine Tentakel geschlungen hatte. Der Jäger fand diese Darstellung irgendwie pervers und erregend zugleich.

Hinter dem Stuhl befand sich eine derart schmale Tür, dass sie dem Jäger zuerst entgangen war. Erst in dem Moment, da sie sich öffnete und ein weiterer Mann in einer weiten, dunkelgrünen Robe mit einer Kapuze eintrat, war sie sichtbar geworden. Der Neuankömmling war hager und machte, wie der Tempeldiener, einen sonderbar kränklichen Eindruck, ohne dabei gebeugt oder anderweitig beeinträchtigt zu wirken. Sein Gesicht war faltig und seine Augen wurden von schweren herunterhängenden Säcken umrahmt. Er trug keinen Bart und hatte sich eindeutig bei der Rasur geschnitten. Mehrere winzige Wunden zeugten von seiner Morgenroutine. Aber am einprägsamsten empfand der Jäger die Augen des Mannes. Sie waren von blassem, wässrigen Blau und hatten einen matten Glanz. Hätte der Jäger den Mann mit offenen Augen am Boden liegen sehen, er hätte ihn glatt als Leiche eingestuft. Diese toten, farblosen Augen musterten ihn jetzt mit unverhohlener Abscheu. Na gut, dachte sich der Jäger, du und ich, das wird ein Spaß.

Der Tote sagte mit dünner Stimme: »Willkommen im Tempel des Kraken derer von Landor. Ich hoffe, ihre Anreise ist zu ihrer Zufriedenheit verlaufen.«

Am liebsten hätte der Jäger dem Kerl von der Frau in dem Glibberzeugrestaurant erzählt, aber er hielt den Mund und nickte nur aufmerksam.

»Gut, gut, alles wird in Kürze bereit sein. Kann ich den Kontrakt mit meinen eigenen Daten vergleichen?« sagte der Tote in der Robe.

Der Jäger hakte sein Pad vom Gürtel, tippte es an und nestelte am Anzeigenfeld herum. Er hasste diesen Teil seiner Arbeit. Er wollte professionell sein, aber mit einem Anzeigefeld zu reden war ihm zuwider. Er musste diese Daten so finden. Bisher war es ihm doch auch gelungen. Wo waren sie nur? Musste er das Viereck oder die Linie berühren? Er versuchte das Viereck, weil es ihm irgendwie sympathischer wirkte und traf mit beiden Daumen stattdessen ein Feld daneben, woraufhin sich eine Anzeige mit Daten zum Thema Umweltbedingungen auftat und das Pad leise erklärte, wie sich das Wetter in den kommenden Tagen verhalten würde. Schnell strich er das Feld weg und versuchte es diesmal mit den gebogenen Klauen. Spitz berührte er das Viereck. Weitere Vierecke erschienen. Das waren die Daten, die er suchte. Grün war die Farbe des letzten Auftrags. Er berührte vorsichtig eins der drei grünen Vierecke und frohlockte innerlich. Er erkannte die Richtigkeit seiner Auswahl am Gesicht des Dicken mit der feuchten Glatze. Ein Glück waren hier auch Bilder hinterlegt. So machte man das. Mit Bildern, nicht mit dummen krakeligen Linien und winzigen Bögen.

Schnell schob er die Daten mit einer routinierten Bewegung der beiden Daumen seiner linken Hand von seinem Pad zur Tischplatte des Toten hinüber und lächelte triumphierend. Hast gedacht, ich bin ein dummer Wilder, der nicht einmal mit seinen Daten umzugehen weiß. Ich habe es deinen von Maden zerfressenen Wangen angesehen, aber hier sind sie: die Daten!

Tatsächlich glomm das Tischplattenmonster auf und stellte den Glatzkopf, den Jäger und weitere Informationen dar. Diese weiteren Informationen waren in Form der Linien und Kreise gehalten und interessierten den Jäger daher eher wenig aber: Glatze plus Jäger ergab Auftrag. Zwei Bilder, eine Aussage. Perfekt!

Der Tote, der Jäger vermutete in ihm den Oberpriester des Tempels, sah nach Erhalt der Daten nicht weniger tot aus als zuvor und wie bei den  meisten Toten zeigte sich auch keine Freude auf seinen Gesichtszügen. Der Jäger überlegte, wie einfach es gewesen wäre, wenn sich dieser alte griesgrämige Sack als sein Beutemensch herausgestellt hätte. Zack, geschnappt und fertig. Credits auf das Pad und zur nächsten Jagd.

»Tempeldiener Jardon Pantec, halten sie sich an der Treppe bereit. Tempeldiener Magus Humani soll sich ebenfalls dort einfinden. Geleiten sie diesen Herrn«, sagte die Madenleiche und versteckte ihre Hände in den weiten Ärmeln ihrer Robe.

Der Tempeldiener atmete tief ein und sagte: »Oberpriester Maulan Pantec, euer Wille ist der meine.«

Dann machte er dem Jäger, so gut es der beengende Raum zuließ, Platz, damit dieser sich ebenfalls umwenden konnte. Der Jäger war ganz froh, als sie wieder im Hauptsaal ankamen. Drüben kauerte nach wie vor die Alte und bettelte um besseres Wetter, mehr Glibberzeugsuppe oder ein neues Leben. Der Jäger hob kurz grüßend die Hand, kam sich dann aber albern vor.

Gemessenen Schrittes ging er dem Tempeldiener hinterher, der geradewegs die Treppe nach unten zu dem Loch mit den tief schwarzen Stufen ansteuerte. Unterwegs überlegte der Jäger, was das nur für eine Sache mit den Namen war. Immer und immer mussten die Menschen ihre Namen nennen. Das war, als würden sie ständig mit heraushängenden Schwänzen durch die Gegend wedeln. Und dann, warum hatte Madenfresse einen so ähnlichen Namen wie Bleichgesicht? Pantec, beide, er war sich sicher, richtig gehört zu haben. Egal, man merkte sich keine Namen, wenn man sie aus Versehen gehört hatte. Das machte man einfach nicht. Er strich Pantec aus seinem Gehirn. Pantec, Pantec, Pantec, Pantec, Pantec, Pantec, Pantec, Pantec, Pantec, Pantec, Pantec …

Hinter sich hörte er Schritte und vermutete den Toten, aber eine der anderen beiden Türen hatte sich geöffnet und ein steckendürrer Kerl war herausgetreten. Da er dieselbe Kleidung wie der Tempeldiener trug, war er wohl auch einer. Der Jäger überlegte, ob er schon einmal einen derart dünnen Menschen gesehen hatte, entschied sich aber hier den Rekordhalter begrüßen zu dürfen. Unten angekommen, wartete Bleichgesicht bis Stecken die Treppenstufen ebenfalls gemeistert hatte. Dies kam dem Jäger gar nicht so einfach vor. Der Stecken hatte so dünne Beinchen, wie konnte er überhaupt den hierdurch merkwürdig überdimensionierten Kopf tragen? Wackelig schaffte er jedoch die Stufen und kam bei ihnen an. Er war jünger als der andere und machte einen sehr unsicheren Eindruck. Der Jäger legte den Kopf schief. Stecken roch nach Angst. Warum? Mit einem schnellen Blick auf Bleichgesicht prüfte er dessen Ambitionen und auch hier schien irgendetwas im Argen zu sein. Der Mann wurde von Minute zu Minute angespannter. Dies wiederum initiierte eine geübte innere Entspanntheit im Geist des Jägers. All seine Sinne entfalteten sich, seine Muskeln ließen locker, er war bereit.

Einen Augenblick der Stille und dann machte Bleichgesicht den ersten Schritt. Es war ihm anzusehen, wie ungern er die schwarzen Stufen betrat. Na, das konnte ja heiter werden. Der Jäger folgte dem ersten Tempeldiener und Stecken kam hinterdrein. Die Stufen führten nicht weit in die Tiefe. Der Höhenunterschied erlaubte einen gerade einmal mannshohen Raum, besser gesagt eine Art Balustrade, zu der die Treppe hinunter führte. Dieser Ring umrundete einen weiteren Raum, dessen Boden gut und gerne acht Meter tiefer lag und über zwei weitere Treppen links und rechts zu erreichen war. Balustrade und Treppe waren aus Holz, alles war alt und es roch sehr nach Moder. Hinzu kam noch ein anderer Geruch. Meerwasser, weit entferntes, aber brackiges Meerwasser. Unten war der Boden aus Stein und der Raum hatte einen Durchmesser von bestimmt zehn Metern. Auch hier gab es, wie in der Gebetshalle, Wandstützen, die Tentakeln nachempfunden waren. Subtil, dachte der Jäger und musste lächeln.

Im Zentrum des Raumes unten gab es drei steinerne Sockel. Tacblic Etcs bauten keine Särge oder Grabkammern. Sie überließen ihre Toten dem Eis, welches sie umschloss und schön hielt. Der Jäger kannte aber die Angewohnheit der Menschen, ihre Toten einzusperren. Ist euch bei dem Obermadengesicht leider nicht gelungen was? witzelte der Jäger leise.

Die drei Dinger waren Steinsärge mit dicken Platten als Verschlüsse. Hätte man Madenfresse in eines dieser Dinger gepackt, würde er nicht mehr herumlaufen, dachte der Jäger und ging dem vorderen Tempeldiener hinterher. Dieser nahm die rechte der beiden Treppen, ging gemessenen Schrittes hinunter und sah dabei auf die andere Seite hinüber. Dort wackelte Stecken die andere Treppe hinunter und der Jäger rechnete jeden Moment damit, dass dem dürren Männlein ein Beinchen brach und er holter die polter die übrigen Stufen hinunter purzelte. Doch nichts dergleichen geschah. Alle kamen unbeschadet unten an und der Jäger wunderte sich über die seltsame Beleuchtung des Raumes. Sie kam von der Decke, aber er konnte nicht sagen, welcher Natur das Licht war. Es handelte sich um ein diffuses Leuchten, welches sich in Flecken weit über ihm über die Steinbögen zog. Grünlich glimmend tauchte es die ganze Szenerie in eine gespenstige Atmosphäre.

Auf der anderen Seite der drei Steinkästen befand sich eine Art Tunneleingang. Hier unten war der Meeresgeruch noch stärker und der Jäger hatte eine klare Vorstellung von wo er kam. Die Luft schmeckte salzig und machte ihm das Atmen schwer. Irgendwo da hinten konnte er auch ein auf- und abbrandendes Rauschen hören. War dieser Ort dem Meer so nahe? Waren die Hügel die Landseite einer Küstenregion? In der Civic hatte nichts darauf hingewiesen. Es hatte weder Fischer noch andere typische Anzeichen für eine Küstenstadt gegeben. Aber was wusste er schon? Vielleicht gab es hier, auf der anderen Seite der Hügel, einen Stadtteil, der eben genau das war, eine Küstenregion. In einer Sache jedoch war er sich absolut sicher: er war hier in der Nähe irgend eines stinkenden Meeres.

Gerade wollte er einen der Tempeldiener fragen, als er Stimmen über sich vernahm. Madengesicht redete leise mit einer weiteren Person. Der Jäger blickte die Treppe hinauf und gewahrte oben den Alten und eine andere Gestalt. Trotz des schwachen Lichtes erkannte er eine Frau in einem tief roten Gewand. Von hier unten konnte er nicht viel sehen, aber am Geschlecht dieser Menschin bestand keinerlei Zweifel. Alles an ihr war rund und in einem gefälligen Maß weiblich.

Dann kamen die beiden über die rechte der Treppen ebenfalls herunter. Als sie näher kam, glomm die helle Haut der Frau gespenstig im fahlen grünen Licht der Decke. Ihr Gewand war wirklich ganz und gar rot und lag nur locker über ihrem Kopf und über den Schultern. Vorne war es offen und entblößte die nackte Pracht der drallen Frau. Der Jäger konnte ihr Alter nicht eindeutig bestimmen, aber ihre Brüste waren schwer und zusammen mit ihren breiten Hüften zeugten sie von einer erwachsenen Fraulichkeit. Auch ihr Schritt war unverhüllt und der Jäger musterte sie unverhohlen. Erst als sie dicht vor ihm stand, bemerkte er ihre Augen. Sie hatten die blasse, wässrige Färbung, die ihm auch bei Madengesicht aufgefallen war. Er senkte den Blick wieder zu ihren Brüsten und ihrem Schritt, man konnte nicht alles haben.

»Das ist der Mann«, sagte der Tempeldiener, als ob die Situation nicht allein für sich gesprochen hätte. Die Frau nickte und wandte sich an den Sprecher: »Tempeldiener Jardon Pantec, sie können hinaufgehen. Alles ist zu meiner Zufriedenheit«, sagte sie mit einer seltsam belegten Stimme.

Der Jäger spürte auch bei ihr diese seltsame erwartungsvolle Anspannung. Er selbst war ebenfalls auf dem Weg, sich anzuspannen, aber bei ihm regte sie sich in erster Linie im Intimbereich. Er fragte sich immer gespannter, was das hier werden sollte.

»Jawohl Frau Bruna Malision«, bestätigte der Feiste und machte dem Stecken ein Zeichen mit dem Kinn. Gemessenen Schrittes zogen sich die Beiden zurück. Der Jäger ärgerte sich. Er hatte schon befürchtet, den Namen der Frau eingebrannt zu bekommen, aber dann überraschten ihn die Menschen doch immer wieder mit ihrer hemmungslosen Direktheit.

»Es sei«, sagte in diesem Moment Madengesicht und die Frau verneigte sich vor ihm. Irgendwie erfreut nahm der Jäger zur Kenntnis, dass die alte Leiche Anstalten machte, nun ebenfalls die Treppe zu erklimmen. Er schien bewusst die andere zu nehmen, als bestünde die Gefahr, er könne die Tempeldiener überholen. Es war geradezu eine Qual mitansehen zu müssen, wie sich das halbtote Gerippe die Stufen, die wohl ebenso morsch wie seine Knochen waren, hinauf hievte. Eine Ewigkeit schien zu vergehen, bis der Jäger endlich keine Schritte mehr hörte und mit der Frau allein in der Gruft war. Er spürte ihre Blicke auf sich. Als er sich ihr zuwandte, hatte sie ihre Robe so nach hinten gezogen, dass ihre geradezu obszönen Brüste ganz und gar unbedeckt waren. Erfreut nahm er ihre geröteten Vorhöfe zur Kenntnis und sein Stammeserweiterer reagierte entsprechend. Mit einer lässigen Bewegung ließ er seinen Ausrüstungssack und die schwere Eisharpune von seinen breiten Schultern rutschen. Sein schwerer Rüstungsmantel folgte. Dann öffnete er den Verschluss seiner Lederrüstung und begann, sie abzulegen. Sollte sich dies hier doch noch als Falle erweisen, würde er sich später für seine Unvorsicht schelten. Jetzt galt es sich dem Willen einer Frau beugend zu handeln.

Unverwandt sah die Frau ihm zu, während er sich entblößte. Es dauerte eine Weile, denn die Lederrüstung konnte man nicht abstreifen wie ein einfaches Gewand. Als das schwere Ding endlich einen chaotischen Haufen mit seiner restlichen Ausrüstung bildete, trug er nur noch seinen Pactjamg, das traditionelle einteilige Untergewand der Tacblic Etcs. Seiner war grau mit roten Streifen. Seine Adoptivmutter hatte das Gewand für ihn gefärbt. Streifen machen schlank hatte sie immer wieder erklärt.

Die Frau machte einen Schritt auf ihn zu und streckte den nackten Arm aus. Sie wollte seine Maske anfassen. Er packte grob ihr Handgelenk und führte ihre Hand stattdessen zu seinem Schwanz, der prall drohte den Pactjamg zu sprengen. Sie drückte und erkunde seine Formen und der Jäger sah ihr die Überraschung an, als sie seine Proportionen zu erahnen begann. Ja, ich bin kein violetter Mensch, ich bin ein Tacblic Etcs, ich habe ordentlich etwas in der Hose, dachte er belustigt.

Da öffnete die Frau auch schon den Latz seines Untergewands und griff hinein. Sein Stammeserweiterer erweiterte sich zu maximaler Größe und der Jäger sah mit an, wie sie sich vor ihm hin hockte als wolle sie ihre Blase erleichtern. Doch stattdessen packte sie seinen Schwanz an der Wurzel und umschloss die rote Spitze mit ihren vollen Lippen. Der Jäger grunzte erfreut und schon ging es los …

Kurz darauf

Sein Stammeserweiterer stand halb erigiert von ihm ab und ein dünner Faden seiner Flüssigkeit verband ihn noch mit dem Schlitz der Frau. Er ließ seinen Nacken mit einer schnellen Bewegung knacken und rückte zum wiederholten Mal seine Maske zurecht. Sie hatte gut mitgehalten wie er fand und gab ihr einen letzten Klaps auf den Arsch. Dann wurden seine Sinne langsam wieder klar und er nahm die Bewegung in seinem Rücken war.

Plötzlich donnerte etwas gegen seinen Hinterkopf. Hallend erreichte der Schlag sein Gehirn und er schüttelte den Kopf. Der Faden und die Verbindung zwischen ihm und der Frau zerrissen, als er sich umdrehte und das erschrockene Gesicht von Stecken vor sich sah. Der Kerl starrte abwechselnd in das Gesicht des Jägers und auf das Ding, welches er in der Hand hielt. Der Jäger musterte das Ding jetzt auch. Es war eine Art hölzerner Knüppel mit einem Lederüberzug am Ende. Von der Größe her hätte man es auch für andere, erfreulichere Zwecke nutzen können, aber der Jäger erkannte eine Art sanfter Waffe darin. Sein Hinterkopf schmerzte.

Schräg hinter Stecken stand Bleichgesicht. Er hatte einen baugleichen Knüppel in der Hand und holte gerade damit aus. Ein grimmiges Lächeln zog sich über das Gesicht des Jägers. Falle, hatte er es doch gewusst. Aber wo blieben die Angreifer?

Er griff mit einer Hand nach dem Hals von Stecken und riss ihn genau in dem Moment zur Seite als Bleichgesicht zuschlug. Das erhabene Krachen eines Menschenschädels zeugte von Bleichgesichts durchaus beachtenswerter Kraft.

Stecken wie einen eben solchen zur Seite schleudernd, trat der Jäger Bleichgesicht zwischen die Beine. Dieser knickte zusammen und bekam nicht einmal mit, wie der Jäger ihn im Fallen am Kragen packte und mit voller Wucht gegen die Kante der Steinplatte der Liebe schmetterte. Mit einem hässlichen Krachen zersplitterte alles, was sich unterhalb der Nase des Mannes befunden hatte.

Der Jäger sah zur Treppe hinauf und bereute seine Unvorsicht. Ein stechender Schmerz in der Seite ließ in fluchend die Luft ausstoßen. Sein Pad übersetzte vom Boden irgendetwas fehlerhaftes. Er wischte das Ding in seiner Seite aus seinem Körper und drehte sich um. Verärgert nahm er das Klimpern einer Klinge auf Stein wahr. Wo hatte sie das scheiß Messer denn versteckt gehabt während er sie beglückt hatte?

Er sah sie an und drückte eine seiner Pranken auf die blutende Wunde.

Mit trotzigem Blick sah sie zu ihm auf. Er konnte ihr deutlich ansehen, dass hier etwas nicht so gelaufen war, wie sie sich das ausgemalt hatte. Aus seiner Sicht hätte er auf das Messer verzichten können, der Rest hatte ihm ganz gut gefallen.

»in pa«, sagte er freundlich auf Tac, was soviel wie eher nicht bedeutete. Sein Pad war zu weit entfernt, um die Botschaft korrekt zu übersetzen.

Die Frau machte eine abwehrende Geste mit den Armen, als er seine freie Hand hob. Jetzt bahnte sich langsam echte Angst den Weg in ihr Herz. Ihr Herzschlag verlangsamte sich, die Glut war erloschen und ihr Blick zuckte kurz zu dem erstickt röchelnden Bleichgesicht zu ihren Füßen. Der Stecken regte sich überhaupt nicht mehr.

Der Jäger begann den Latz seines Pactjamg zu schließen und wandte sich seiner Ausrüstung zu. Erfahrungsgemäß würde es nun nicht allzu lange dauern. Er packte seine Sachen, legte sich die Riemen von Tasche und Harpune über die Schultern und klemmte den Rest unter den Arm, mit dessen Hand er nach wie vor auf die Wunde drückte.

Dann drehte er sich zu der Frau um, die immer noch nackt und mit dem roten Mantel um den Arm gewickelt, an der blutverschmierten Steinplatte stand. Er konnte ihrer Miene nicht genau entnehmen, was in ihr vor sich ging. Seltsame Frau, dachte er, aber irgendwie auch ein guter Fick. Er zuckte mit den Schultern und erwog in den Tunnel zu gehen. Dann aber kniff er die Augen zusammen. Das Rauschen war lauter geworden und hatte sich verändert. Vorhin war es einem gleichmäßigen Rhythmus gefolgt, jetzt war etwas Schleifendes und Platschendes hinzugekommen. Auch der Gestank nach Brackwasser war stärker geworden.

»Treppe verbessert«, sagte er und vernahm die tolle Übersetzung seiner Worte aus dem Pad.

Die Frau sagte nichts. Sie sah ihm einfach nur hinterher, als er eine der Treppen erklomm. Er wandte sich nicht noch einmal um, konnte aber ihren Blick in seinem Rücken spüren. Oben angekommen hörte er die Stimme von Madenfresse: »Ist die Morgenröte angebrochen?« fragte die Leiche, verstummte jedoch erschrocken, als er die rote Maske des Jägers sah. Ganz offensichtlich hatte er mit einer anderen Person gerechnet.

Der Jäger ging auf ihn zu und blieb vor ihm stehen. Der Priester starrte ihn schreckensbleich an. Dann rumpelte es in der Grotte und das Geräusch splitternden Holzes ließ nichts Gutes vermuten.

Der Jäger zuckte in einer sehr menschlichen Geste mit den Schultern und sagte freundlich: »Muss los.«

Der Blick von Madengesicht war mit kosmischem Grauen erfüllt, als die schwarzen Treppenstufen seinen Blick einfingen und für immer an sich banden. Doch der Jäger war schon auf dem Weg quer durch den Tempel und strebte dem Ausgang zu.

Nach wie vor kauerten die Alte und der Junge auf der letzten der Holzbänke.

»Besser gehen«, sagte der Jäger, als er an den beiden erschrockenen Gesichtern vorbeikam. »Bleichgesicht Tempeldiener recht, heute nicht beten besser«, fügte er hinzu und trat durch das Tor ins Freie hinaus.

Epilog
»Sehen sie mal, da liegt ein Datenfehler vor«, sagte der Vorseher zu dem Fernwächter zu seiner Linken.

Der Angesprochene zog sich die Daten auf seine Anzeige und blickte durch das Fenster auf das staubige Terminal hinunter. »Zu wem gehört die ID?« fragte er gelangweilt.

Der Vorseher tippte mit dem Zeigefinger gegen das Glas, als könne er die unten befindlichen Personen berühren. »Der große da mit dem roten Lederfetzen auf dem Kopf, da drüben bei dem Mitantank.«

Nickend prüfte der Fernwächter die Daten. Dann sagte er mit belustigter Stimme: »Stimmt, Dopplung, Name und Spezies stehen im selben Hierarchiefeld. Da hat einer der Protokolldroiden Scheiße gebaut.«

Der Vorseher las vor: »Tacblic Etcs bei Name und Spezies. So dumm kann doch auch der dümmste Droide nicht sein.«

Er betätigte die Kontrolle und baute einen Zero Link zum diensthabenden Droiden auf. »ID 66-6-10-3fx100 wurde mit einer Dopplung aufgenommen, bestätigen« sagte der Vorseher in das Mikrophon.

»Negativ«, kam promt die Antwort des Protokolldroiden.

»Du siehst doch, dass der Name und die Spezies dieser Person identisch sind und was sagt dir das?« schnarrte der Mann und grub dabei etwas mit dem kleinen Finger aus seiner Nase.

»Korrekt, kein Fehler. Name und Spezies identisch.«

Der Vorseher überlegte und betrachtete seinen Fang. Dann schnippte er mit dem Finger und wandte sich dem anderen zu. »Der Droide sagt, das wäre korrekt.«

Der Fernwächter blickte auf sein Kontrollfeld und hob seine Augenbraue. Er konzentrierte sich auf die Anzeige und dann nickte er anerkennend, als er sagte: »Haben sie die Nachrichten gesehen? In Dulai`asan ist der Landortempel eingestürzt und das zur Feier der Morgenröte.«

Mit den Schultern zuckend erwiderte der Vorseher: »Morsches Holz. Habe mal vor Standardjahren eine Dokumentation über die ganz alten Tempel gesehen. Die stammen zum Teil tatsächlich noch aus den Zeiten von Corma Iffa dem Dritten. Unglaublich oder?«


***

 

Unten im Terminal öffnete sich die Zugangsschleuse. Der Jäger hob seinen Hochhelm und den schweren Ausrüstungsbeutel vom Boden auf und machte sich auf den Weg zu seinem Flug. Koriff hatte ihm weitere Einblicke in das Wesen der Menschen und eine kleine Narbe geschenkt. Er kramte eine Stange aus seiner Tasche und biss herzhaft hinein, als er das Terminal, Koriff und die Priesterin der Morgenröte hinter sich ließ.