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Winterwelt

Vor langer langer Zeit, als Welten noch flache Scheiben und ihre Bewohner den Göttern näher waren als jemals später wieder, da lebten die Silberhellen in einem Land, ganz nahe eines endlosen Meeres. Die Wogen dieses Meeres waren von einem schäumenden Weiß, wie die gefrorenen Gipfel hoher Berge und seine Tiefen so unauslotbar und grün, wie das von Moos bedeckte Unterholz uralter verzauberter Wälder. Nie war es einem Schiff der Silberhellen gelungen, die Weiten des Ozeans zu erforschen. Jeder noch so mutige Kapitän musste umkehren oder für immer im nassen Grabe ruhen, wenn er versuchte, anstelle der Küstenlinie hinaus in die Ferne zu laufen. Unzählige Schiffsleichen zeugten, bleich vom Salz und der Sonne gezeichnet, von diesen armen Seelen. 

Gegenüber dem Meer, jenseits des Landes der Silberhellen, befand sich ein endloser Wald. Der Wald war so groß und alt, dass in der Geschichte der Silberhellen nie einer der ihren es geschafft hatte, ihn zu durchqueren. Die Bewohner des Waldes waren haarige Bestien mit gewaltigen Kräften und sie sahen es gar nicht gerne, wenn ein Fremder ihr Reich zu betreten versuchte. Die Silberhellen tauschten zuweilen Waren mit dem Waldvolk, welches sie Bornog nannten – das bedeutet Schwarze Riesen. Sie legten Schmuck und Metalle auf Körbe am Rande des Waldes, und wenn sie tagsdarauf wiederkehrten, waren die Körbe mit Obst und allerlei Schätzen des Waldes gefüllt. So lebten sie in Frieden mit dem Wald und dem Meer über viele viele Zeitalter hinweg. 

***

Einmal wurde das Land der Silberhellen von einem jungen, sehr eitlen König regiert. Er hatte keine Königin und hielt sich auch sonst nicht an die Sitten und Gesetze der Alten. Sein Herz zog ihn zur Macht, und an nichts anderes konnte er denken.

So fragte er die königlichen Berater, wie er es schaffen könne, die alten Heldenkräfte in sich zu erwecken, um noch mehr als einfach nur König zu sein. Das Land war ihm zu wenig. Er wollte das Meer, den Wald, ja sogar den Himmel zu seinem Eigentum erlangen. Die Berater aber wussten nicht, wie sie dem König helfen sollten und als kein einziger von ihnen einen Rat hatte, vertrieb der König sie aus seinem Palast, aus seinen Gärten und aus seinem Reich. Sie sollten nie wiederkehren und des Todes sterben, sähe man sie einen Fuß in das Land zwischen Wald und Meer setzen. Aber da war einer unter diesen Hofleuten, der war alt und schlau, und ihn kümmerte nicht ehrenhaftes Verhalten noch die Treue zu seinem Lehnsherrn. Als Kämmerer kannte er die Gemächer und Gelasse des Palastes wie kein anderer. Er wollte überleben und nicht draußen in der Wildnis ertrinken oder von wilden Tieren gehetzt zu Grunde gehen. Da entsann er sich der alten Schriften und stieg in die tiefsten Gewölbe des Palastes hinunter, wo einst vor langer Zeit die Alten den Göttern gehuldigt hatten. Dort unten, in den dunkelsten Verliesen, fand er, nach was er suchte. In einem verstaubten Manuskript eines der ältesten Hexenmeister vergangener Tage wurde von einem Weg berichtet, mit den Göttern zu sprechen und diesen Weg wollte der schlaue Berater dem König zeigen, auf das dieser ihn bei sich leben lassen würde. Der Alte nämlich hatte seine ganz eigenen Gründe, dem Monarchen den Weg zur Macht zu weisen.

Der König hörte den Berater an und befand den Vorschlag als gut. Also beauftragte er Arbeiter, alles zu tun, was der Alte brauchte und so entstand ein neuer Turm am Palast, zum Meer hin errichtet und zwei Mal so hoch, als der höchste Turm vor ihm. Auf dem Turm, der oben flach war wie kein anderer der Türme, wurde ein Gestänge aus reinem Silber errichtet und mehr als einer der Arbeiter fand den Tod bei seinem Schaffen. Das Gestänge schließlich sollte ein Horn halten, aus Silber, Engelsgold, Schildpatt und allerlei anderer Kostbarkeiten. Es war so lang wie drei Männer und mehr gewunden als die Hörner der Seelentiere der Silberhellen. Als all dies geschaffen war, betrachtete der König seinen Erfolg und war ganz eins mit der Idee, die Götter im Himmel zu rufen.

Das Horn konnte nur von einem sehr starken Mann geblasen werden und so suchte der König nach dem kräftigsten Bläser des Reiches. Wer das Lied des alten Hexenmeisters auf dem Horn zu blasen vermochte, sollte mit mehr Schätzen beladen den Palast verlassen, als er je würde ausgeben können. Sieben Hornbläser kamen zum König, doch nur einer von ihnen wurde erhoben. Er war ein Riese von einem Silberhellen und seine Brust war stark wie ein Baum. Sein Name war Asagun, das heißt ›Der Laute‹ und er war es allein, der das Horn spielen konnte.

An einem stürmischen Tag versammelte der König seine Getreuen, die Damen des Hofes und die Krieger, Soldaten und Handwerksmeister und sie alle umringten den Turm des Hornbläsers. Oben aber standen nur der König, sein schlauer Berater und der Bläser. Und als dieser endlich Luft holte und in das Horn stieß, da erscholl sein Ruf so laut und mächtig, wie nie eine Fanfare zuvor im Königreich erschollen war und es auch niemals wieder tun sollte.

***

Als das Horn geblasen ward, verharrte das Reich und horchte auf. Lange dauerte es, bis der erhabene Laut verhallt war und noch länger brauchte es, die erstarrten Silberhellen wieder zu beleben. Was würde wohl nun als nächstes geschehen? Oben auf dem Turm verharrte der König in erwartungsvoller Haltung. Sein Blick war weit hinaus in die Unendlichkeit gerichtet, dorthin wo er die Alten vermutete. Doch plötzlich wurde er einer Bewegung neben sich gewahr und als er sich umwandte, sah er seinen Hornbläser wanken und zu Boden gehen. Blut hatte sich unter der Nase des mächtigen Mannes gesammelt und sein gewaltiger Brustkorb hob und senkte sich nur noch schwach. So stark hatte der Treue ins Horn geblasen, dass seine Lungen zerborsten waren. Der Berater kniete nieder und wollte um Hilfe bitten, doch der König wandte sich schon wieder dem Himmel zu. Es war, als hätten die Belange des Irdischen jede Bedeutung für ihn verloren. So stand er Stunde um Stunde auf der Plattform und schließlich wurden aus Stunden Tage. Als es Nacht wurde, brachte seine Garde einen Mantel, doch der König lehnte ab. Als es wieder Tag wurde und das Lichtgestirn am Horizont aufging, brachten die Diener des Königs Nahrung, doch der Herrscher lehnte schroff auch dies ab. So stand er Tag um Tag, sah nicht wie man den Hornbläser davontrug, wie man ihn aufbahrte und schließlich zur letzten Ruhe bettete und er sah auch nicht die Sorge in den Blicken seiner Untertanen. Nur der Berater blieb an seiner Seite. Doch der sah nicht zum Himmel hinauf. Er beobachtet nur die Starre seines Monarchen und mehr als einmal stahl sich ein grimmiges Lächeln auf seine Lippen.

Als viele Tage und Nächte vergangen waren und dem König der Bart zu sprießen begann, wurde der enttäuschte Herrscher über seine Mängel krank. Doch immer noch weigerte er sich zu essen und schickte alle Diener weg, die versuchten, in ihn zu dringen. Erst als er kraftlos zu Boden sank, wie zuvor der Hornbläser, ließ der Berater die Garde antreten und den geschwächten Monarchen in seine Gemächer bringen. Er bestellte Wachen auf den Turm. Sie sollten weiter beobachten, was sich zutrug, auch wenn das Volk längst zum Alltag übergegangen war.

Der König kam langsam wieder zu Kräften, doch sein Geist schien gebrochen. Immer wieder fragte er nach den Göttern, doch der Berater musste stets verneinen. So verließ der Herrscher zwar sein Krankenlager, doch nicht sein Gemach. Schmach und verkehrter Stolz schienen es ihm unmöglich zu machen, vor sein Volk zu treten. Er hatte nach dem Himmel gegriffen, doch dort hatte nichts und niemand auf sein Rufen gehört. Wer war er schon, dass die Götter ihm antworteten?

***

Dreizehn Tage und Nächte vergingen und am Ende der dreizehnten Nacht geschah schließlich das Außergewöhnliche. Der Ruf der Wächter auf dem Turm erscholl weit über das Heim der Silberhellen. Jeder Mann, jede Frau und jedes Kind wurde von den Trompeten der Wächter und einem fremdartigen Leuchten aus dem Schlummer gerissen. Als sie vor die Türen ihrer Häuser oder auf ihre Dächer traten, sahen sie hinein in dieses Leuchten und gewahrten purpurne und violette Nebel, die scheinbar das Firmament auseinander zogen. Wie ein endloser Bühnenvorhang öffnete sich die Weite und dann, ohne Vorwarnung, kam eine Flotte von Himmelsschiffen aus diesem Leuchten. Denn der Ruf war wohl nicht von den Göttern erhört worden, doch ebenfalls war er auch nicht ungehört verklungen.

Was nun geschah, sollte das Dasein der Silberhellen für immer verändern. Die Schiffe, die aus dem Himmel kamen, waren waffenstarrend und ihre Herren waren gewaltige Krieger, pferdeköpfig, und einer von ihnen war stark wie drei Männer. Diese grimmigen Kämpfer kamen über das Reich und sie brachten Tod und Vernichtung mit sich. Ohne Gnade überwanden die Pferdekrieger jeden Widerstand seitens der Silberhellen. So flüchteten die wenigen Überlebenden zur Festung des Königs und baten um Einlass, um hier ihr Überleben zu sichern. Der König erwachte aus seiner Lethargie und rief seine Garde zu den Waffen. Schwach von seinem Siechtum, erhob er sich und trat wankend auf die Zinnen seiner Festung. Alle Flüchtlinge sammelten sich in der Burg und harrten der Feinde.

Der König aber trat zu seinem letzten Berater und fragte ihn, was zu tun sei und dieser rieb sich das Kinn. Dann riet er dem König zur Flucht. Wohin aber sollten die Silberhellen flüchten? Der Berater aber hatte einen Plan. Er berichtete von einem uralten Tunnel tief unter den Kerkern des Palastes, noch weiter unten als die Anbetungskammern und die Ruhestätten der Toten. Von seiner eigenen Vergangenheit in den Tiefen dieses Ortes aber berichtete er nicht.

Der König, gestützt von den Bürgern, die er zu retten gedachte, begab sich mit all den seinen hinunter in das dunkle Gestein und tatsächlich, hier fand sich ein Eingang zu einem engen Tunnel, der weit weg in die Finsternis führte. Das Lächeln des Beraters auf den schmalen alten Lippen aber sah hier unten in der lichtlosen Tiefe keiner der verängstigten Silberhellen.

 

Mehr als einen Tag und mehr als eine Nacht krochen die Flüchtlinge durch die Dunkelheit. Sie schürften sich ihre Knie blutig und stießen ihre Köpfe an und mehr als einer unter ihnen schaffte den schrecklichen Weg nicht ohne Hilfe. Auch der König litt sehr und war ja auch geschwächt, doch kroch er aus eigener Kraft voran und seine Garde sah ihren Monarchen nun mit Stolz, denn sein Handeln war erfüllt von der Angst um seine Untertanen. Verflogen war der Wahn, die Sucht nach dem Ruhm. Ganz am Ende der langen Karawane unter Tage kroch der alte Berater. Er kannte die lichtlose Welt gut. Einst, vor langer langer Zeit, hatte der Vater des Königs ihn hier unten eingesperrt, der Sünden willen, die Wahrheit zu kennen.

 

Als alle Hoffnung schon geschwunden schien, stieß der König endlich gegen eine hölzerne Klappe und gemeinsam mit einem seiner Krieger drückte er sie auf und fand sich und die Seinen im Waldreich der Dschungelbestien wieder. Noch nie zuvor war der König in diesem Land gewesen und kaum ein anderer Silberheller kannte den feuchten dunklen Wald. Hier lauerte hinter jedem Baum, hinter jedem Strauch und jedem Stein der Tod. Doch was sollte der König tun? Zurück ins Reich konnte er seine Untergebenen nicht führen. Dort wüteten die Pferdekrieger und ein Blick in Richtung des Reiches zeigte grauen Rauch verbrannten Fleisches, der sich ölig träge in den Himmel schraubte. Dort war nie und nimmer mehr Heil zu finden. Dort herrschte nur noch der Schrecken der Agonie.

Der Berater aber trat an den König heran und erklärte seinen Plan. Hinter dem Wald, so berichtete der alte gebeugte Mann, musste es weitere Länder und Reiche geben und dorthin wollte er den König und die seinen führen. Hier in der vergangenen Welt gab es keine Zukunft für die Silberhellen. Der König willigte ein, den Wald zu durchqueren, doch er fragte den Alten, wie mit den Waldbestien umzugehen sei. Da bat der Berater den König, seinen Untertanen zu befehlen, all ihr Hab und Gut zu sammeln. Den Herren des Waldes sollte all dies zukommen, wenn sie den Silberhellen nur ihr Leben ließen.

Entbehrungsreich und voll trauriger Verluste gestaltete sich die Reise durch den dunklen Zauberwald, doch die Herren dieses Reiches zeigten sich nicht. Schon dachte der König, die Waldbestien seien nur Geschichten für unartige Kinder, doch gerade als er dies zu äußern wagte, vertraten die haarigen Riesen den Silberhellen den Weg. Wütend schlugen sie auf den Boden, umgefallene Bäume und selbst Steinbrocken ein. Sie tosten hin und her, gaben gackernde, schrille Laute von sich, bleckten die Zähne und trommelten sich mit den Fäusten auf die breite Brust. Derart toll und von besessener Wildheit tobten die Bestien, dass die Siberhellen sich angstvoll zu Boden warfen. Der König aber trat müde, doch unerschrocken vor, neigte sein Haupt und hob seine Hand zum Gruß. Da erstarben die grausen Laute und die Bestien wurden zahm ob der demütigen Geste. Der größte und mächtigste der Riesen verzog das grässliche Gesicht zu einer Grimasse und schob sich an den König heran. Der Rücken des Waldherrn war silbern wie das Haar des Königs. Langsam streckte die Bestie seine Pranke aus und griff nach dem seidenglatten Haar des Monarchen. Ein Schnauben erscholl. Da schoben die Silberhellen ihre Güter heran und überreichten sie den Waldwesen. Diese nahmen sie an und der Weg war frei.

 

Noch viele Tage und Nächte reisten die Silberhellen durch das Reich des Waldes und stets folgten ihnen die Bewohner dieses Landes. Sie kamen nicht mehr nahe heran, doch blieben sie immer in Sichtweite. Wenn die Reisenden zu müde waren, um weiter zu gehen und ein einfaches Lager aufschlugen, taten es ihnen die Riesen gleich, schufen sich geschickt Nester aus Reisig und wachten über ihre Gäste. So ging es Tag um Tag und Nacht um Nacht.

Eines Abends gelangte der Tross an den Rand eines Abgrundes, der einen Berg vom Waldland trennte. Hier verließen die Riesen die Silberhellen und diese gingen über die schmale Brücke zur Flanke des Berges hinüber. Dort hinauf sollten sie steigen, so ging der Rat des alten Beraters. Hoch oben im Berg seien sie sicher vor den fremden Kriegern. In windigen Höhen würden sie Verstecke finden und die Zeit überdauern. 

Der König akzeptierte den Vorschlag des alten kleinen Mannes, denn sein eigenes Herz war ohne Argwohn dem Getreuen gegenüber. Er konnte nicht die List in den Augen des Alten erkennen. Und so kam es, dass die Flucht der Silberhellen sie den Berg hinauf führte.

Wie mühsam aber war dieser Weg! Am ersten Tage noch erfreuten sich die Wanderer des wunderbaren Blickes über das Waldland und mit Trauer im Herzen sahen sie die Spitzen der Türme ihrer eigenen Stadt. Doch als die Nacht kam, wurde es kalt und die Dunkelheit brachte dichte Wolken, Regen und Blitze mit sich. Schon in dieser ersten Nacht starb einer der ihren als er einen falschen Tritt machte und in die Tiefe stürzte. Er sollte nicht allein bleiben mit seinem Los. 

Endlos erschien der Aufstieg durch Wind und Wetter und viele starben durch die unerbittliche Hand der Elemente. Jeden Tag ging der König gebeugter, denn er konnte bald das Leid seiner Untertanen nicht mehr ertragen. Da scholt er den Berater, doch dieser gab sich zerknirscht. Im Wald hätten sie wohl nicht bleiben können, die Riesen hätten sie verjagt. Nun müsse man diese Prüfung bestehen, einen anderen Weg gäbe es nicht!

Geschlagen ließ der König sein Volk weiter ansteigen und musste mit ansehen, wie jeden Tag weitere ihr Leben ließen. 

Da war der alte Koch, der mit dem Fuß strauchelte und in eine Felsspalte rutschte und die Wachtfee, die an der Höhle einer Schlange unvorsichtig war und dem Gift des Tieres erlag. Myclist, der Gärtner und Husvalar, der Färber gerieten gemeinsam unter eine Geröllawine, als sie versuchten, einen Karren mit den Habseligkeiten einer alten Frau über einen Grad zu hieven.

Doch es waren nicht nur diese, die der Berg sich holte. Dutzende ließen ihr Leben und wurden an den Abendfeuern beweint. Ihre Namen sind nun vergessen, denn niemand hatte noch die Kraft, sie zu bewahren. Hätte der König die übrigen nicht mit seinem Drang beflügelt, keiner der Silberhellen hätte den Aufstieg überlebt.

Schließlich aber gelangte der Anführer der Silberhellen kurz vor dem Gipfel auf ein Plateau und hier befahl er erneut Rast zu machen, denn er sah das Leid und die Hoffnungslosigkeit in den Augen der Seinen. An diesem Abend klagte nun auch der König sein Leid. Er war am Ende seiner Kräfte und die Schuld an allem was geschehen war, lastete nun so stark auf seinem Herzen, dass er danieder kniete und mit seinem Schicksal haderte. Da trat der Berater zu ihm und sah ihn mit hartem Blick in die von Trauer erfüllten Augen.

“Nun kniest du König, doch erinnerst du dich deiner Tage als Kind?“

Der König sah den kleinwüchsigen Alten an. Er verstand nicht, was dieser von ihm wollte. War er gar von Sinnen? Er gefragte den Alten, doch dieser lachte nur heißer. 

Als er aber erneut sprach, war seine Stimme voller Hass: “Vor langer langer Zeit“, so sprach der Zwerg, “als dein Vater König ward, da diente ich diesem schon treu als Ratgeber. Und gut war mein Rat und gut war der König zu mir. Doch dann kam die Königin danieder und das Volk jubelte und feierte Tag und Nacht den neuen Thronfolger. Anfangs freute auch ich mich für das Herrscherpaar und alles schien gut.

Du wurdest älter und schön und stark und dann kam der Tag meines Sturzes. Ein Kind, das du warst, durftest du nicht allein auf die Jagd, doch Sturheit war schon immer dein Bruder. So gingst du an den Wachen vorbei und suchtest in den Gärten nach Wild für deinen Pfeil. Ich aber trat hinzu und wollte dich schützen, doch du warst unbändig und dein Pfeil verließ die Sehne trotz meiner Einwände. Als das Silber die Flanke eines der Ewiglebenden durchbohrte, ging ein Ruck durch das Gefüge der Welten. So geschah das Unmögliche: ewiges Leben endete. Als die Wächter hinzu eilten, war es zu spät. Heiliges Blut tränkte den Garten. 

Die Wächter waren erschrocken und erbost und fragten was geschehen war. Da geschah es, dass du mir den Bogen gabst und damit die Schuld.

Der Spruch des obersten Richters, deines Vaters, war hart. Er verurteilte mich und ich ging in die Tiefen des Kellers. Maden waren meine Nahrung und einzig die Ratten hörten meinen Geschichten zu.

Viele Zeitalter vergingen und du wurdest erwachsen. Die Knochen des Seelentieres hatte man vor deinen Augen versteckt. Niemand war es erlaubt, über die Nacht der Jagd zu sprechen. Und über dich kam gnädiges Vergessen um die Tat, die du selbst hattest getan ...“

 

Der König hörte die Geschichte des Nihgs und als er deren Wahrheit erkannte, verfinsterte sich sein Herz noch mehr. All die Jahre seines Erwachsenwerdens hatte er die Nacht der schlimmen Jagd verdrängt. Selbst, wenn er sich erinnerte, hatte sein Vater ihm das Wort abgeschnitten. Stets wurde von anderem, wichtigeren gesprochen, nie über die Schuld. So lange hatte man ihn behütet, bis er selbst seine Schuld vergessen hatte. Er war König geworden und Könige kannten keine Schuld. 

Doch heute, nach all der Zeit und in größter Not kniete er nun vor dem Alten und unter Tränen bat er um Gnade. Nicht um seines Willen flehte er, sein Volk sollte nicht für sein Versagen leiden. Der Zwerg aber lachte und höhnte dem König. Die Pferdekrieger – wessen Ruf waren sie gefolgt? Wer hatte seinen Ruhm und seine Macht vergrößern wollen, indem er nach den Kräften der Götter rief? Zu spät, krähte der Nihg, zu spät. Du hast die deinen zu Gunsten des Hochmuts verraten und nun werden sie mit dir leiden, wie sie alle einst mein eigenes Leid verlacht haben, weil ein König es ihnen vormachte. 

Da schwieg der König der Silberhellen, denn er erkannte die Wahrheit in den Worten des Alten. Das Schicksal hatte entschieden und es schien gerecht. 

So vergingen die Tage mit Stürmen und die Nächte mit klirrender Kälte und viele Seelen machten sich frei vom Leid und traten ihre eigene Reise zum Nachtgestirn an. Bald lebten nur noch die stärksten, die Krieger des Königs, die Jagdmaiden und die Wachtfeen. Auch der König selbst wollte noch nicht von seinem Leib lassen, obschon einige seiner Berater ihm aus freien Stücken voraus gegangen waren, den einfachen Weg ins Licht nehmend.

Der alte Berater sah ihnen zu. Stumm hockte er in ihrer Mitte und er sah sie vergehen, die schönen, strahlenden Silberhellen. Mit jedem Herz, das aufhörte zu schlagen, füllte sich sein eigenes mit Kummer und Leid. Wo war die Stärke seines Hasses geblieben? Er sah den König an, dessen Gesicht nur noch eine Maske der einstigen Schönheit ward. Tief lagen die Augen unter seinen Knochen und die Haut war gespannt, wie die eines Toten. Die Nase war schwarz erfroren und ließ ihn um so mehr wie einen wandelnden Leichnam wirken. Ihn hasste der Zwerg. Er hasste ihn einst für seine Schönheit und weil er es geschafft hatte, seine Schuld zu überwinden und nun hasste er ihn für seine Hässlichkeit, weil er mit ihr die Schuld erneut von sich gab. Wieder war er es, der Zwerg, der die Schuld zu guter Letzt zu zahlen hatte. Einst aus gutmütiger Dummheit und nun, weil er den Hass in sein Herz gelassen hatte.

Noch acht weitere Tage vergingen und nun war auch der König dem Tode nah, da hielt es der alte Berater nicht länger aus. Er trat vor den König hin und keiner der Wachen hatte noch Kraft, ihn zu hindern. Vor dem König aber sprach er mit zitternder Stimme: König, Prinz, ich kenne nicht mehr deinen Namen und mit ihm vergesse ich deine Taten. Hier stehen die letzten der deinen und ich sehe sie sterben. Ich selbst starb einst so oft in den Kellern deiner Burg. Ich starb vor Einsamkeit, verhungerte und sah zu, wie mein Geist dahin ging in meiner Hoffnungslosigkeit. Doch eines Tages endete meine Strafe und auch jene, die mich da befreiten, sehe ich heute unter deinen Letzten. Da ist Vachuchshar, der Schildmannwolf und die Wachtfee Disheydis. Waren es nicht diese beiden, die mich aus der Dunkelheit trugen, mir neue Gewänder gaben und mich zurück in die Ratshallen führten? Und andere Heldengesichter sehe ich hier. Einige wenige, die damals dem Königs Vater widersprachen und selbst die Hallen verließen, weil sie nicht nahe dem Unrecht weilen mochten. Diesen zu liebe, will ich euch allen den Ausweg zeigen; doch du König, sollst das Opfer dieses Weges sein. Dir kann ich keine Gnade erweisen, denn mit deinen Taten hast du auch mein Herz in Schwärze getaucht und dafür gibt es kein Verzeihen. 

Die Silberhellen, die des Nihgs Worte gewahrten, ringten sich nun doch um ihren König. Sie wollten die Hilfe des Gnoms nicht zu Gunsten ihres Lebens und zum Verlust ihres Monarchen. Der König aber erhob sich mit letzter Kraft und schickte sie alle weg. Nur er und der Alte blieben auf dem kahlen Vorsprung. So standen sie sich gegenüber, während die eiskalten Nachtwinde ihr Fleisch versengten.

Sprich alter Mann, was kann ich tun, um zu sühnen? So sprach der König und in seiner Stimme war nichts geblieben als allumfassende Ehrlichkeit. 

Der Zwerg sprach so: König, du wolltest die alten Götter rufen, indem du in den Himmel hinauf stiegst. Mein Volk aber kennt das Geheimnis der Alten. Immer, wenn sie ruhen, tun sie dies im Inneren und niemals im Himmel. In die Tiefe hättest du graben sollen, du Narr. Und dann, oh Prinz des Totes, sind sie niemals weit von dir gewesen, denn ein jeder der lebt, hat die Pforte zu einigen von ihnen im Herzen. Dein Werkzeug hätte nicht Stein und Meisel, nicht Schweiß und Hacke sein sollen. Vielmehr Gefühle und Glaube hätten genügt. Der direkteste Weg zu ihnen aber sind jene Gefühle, die den Geist dem Leib zu entrücken drohen. So mächtig sind diese, dass sie den Weg aus den Tiefen der Erde durch die Sohlen eines jeden öffnen können, um dem Funken der Alten Eintritt in das Fleisch der Wirklichkeit zu gestatten.

Der König verstand nicht, doch da bedeutete der Zwerg ihm auch schon, die Schnüre seiner Stiefel zu lösen. Als der König schließlich barfuß auf der kalten Erde stand, stach der Zwerg ihm seine silbernen Nähnadeln – die er als einstiger Kämmerer stets bei sich trug – in die nackten Sohlen. Ein Dutzend Stiche, einhundert Stiche und schließlich eintausend und mit all diesem silbernen Schmerz ließ er sodann den König auf dem Grat umher gehen. Zu der Musik der Kälte tanzten sie – ein ungleicheres Paar hatte es nie gegeben – den Reigen des Schmerzes, so lange, bis der Geist des Königs endlich zerbrach. Als er sich taumelnd löste, überfluteten ihn die Stimmen des Schmerzes und der Hoffnungslosigkeit und da erfüllte ihn plötzlich etwas neues. Aus der Erde kam eine dunkle Kraft zu ihm herauf und die drang durch tausend Nadelstiche in seine Sohlen. Da lachte der König und sein Lachen war irre, denn nicht länger weilte sein Verstand in den Gefilden der normalen Welt. Er war weiter gezogen, hatte Platz gemacht für das alles verzehrende Chaos des Wahnsinns.

 

Blitze zerrissen den stürmischen Himmel und tauchten den Berg in zuckendes Licht. Da erhob sich der König und seine Gestalt wurde groß und mächtig, seine Augen wandelten sich zu gläsernen Höhlen und spiegelten die Wetterleuchten wieder. Schwarz war sein Haar geworden und seine Haut so weiß wie die gebleichten Gebeine des Ewigen den er einst erlegt hatte. Und so rasten die Winde in ihn hinein und die Blitze, der Regen und alles Unheil des Gewitters. Er aber stand in Mitten des Chaos und lachte nur. Sein Mund war weit aufgerissen und vorbei war sein Leid um die Seinen. Denn jeder der nun auf den Berg sah, sah die Augen des Fürsten und mit diesem irren Blick wandelten sich auch die letzen Silberhellen zu Dienern des Chaos. Sie alle erhielten als Zeichen das nachtschwarze Haar und die tief schwarzen gläsernen Augen des Wahnsinns. Als die Verwandlung vollbracht war, gab der Herr des Wahnsinns seinen Untertanen die Macht über die Luft und die Elemente. Da ließen alle Sorgen ab von ihnen, denn Kälte, Dunkelheit und Stürme konnten ihnen nicht länger gefährlich werden.

Einzig der Schneider hockte am Boden und hatte den Kopf unter seinen Armen vergraben. Er harrte dem Ausgang dieses Spektakels, voller Pein darum bemüht nicht seinen Verstand zu verlieren. Er wollte nicht enden wie die Silberhellen, denn er wusste, dass jede Form der Macht ein Gegenteil kannte.

Die Ganze Nacht über fachte der Herr des Wahns den Sturm zu immer stärkerem Zorn an. Blitz um Blitz zerriss die Schwärze und das Donnergetöse wurde immer lauter und bedrohlicher. Die Silberhellen rissen die tosenden Winde an sich, machten sie sich untertan und ritten auf ihnen alsbald, irre kreischend um den Berg. Vergessen war der Schmerz. Mit ihrem Herrn waren sie nun Teil des Chaos und genossen ihre heillose Macht. Nichts verband sie nun mehr mit ihrem Früheren Dasein. Ihre Liebe zum Licht, ihr Frieden und jegliche Ordnung in ihren Herzen hatte sich verflüchtigt.

Wild und wilder ging es um den Berg und unermüdlich schriehen sie ihre Seelen in die Finsternis hinaus. Dann, ohne Vorwarnung, öffnete sich das Auge des Lichts am Horizont und durchschnitt die Macht des Sturms.

Als nun das Licht des Himmelsgestirns die Haut der Nachtwanderer traf schmolz diese wie Wachs im Feuer. Es verbrannte ihr Haar zu Asche und ließ nur ihre blanken gepeinigten Seelen zurück. Da schriehen sie nun doch wieder vor Entsetzen und krochen unter den Mantel ihres gewaltigen Fürsten. Doch auch der war nicht gefeit vor den sengenden Strahlen und da erhob er seine Hände gegen den Fels und übte Druck auf den Berg aus. Der Berg wehrte sich, doch die Macht des Herrn Wahnsinn war zu stark für den Stein und so drückte er und drückte immer mehr und schließlich entstand eine Öffnung im Berg. In diesen Schlund schob der Dämon seine Kinder und hier unten fanden sie Schutz vor dem Licht des Tages. Hier, tief unter der Erde mochten sie ruhen, denn der Tag war mächtig, doch konnte er die Nacht nicht auf immer bannen.

Unten in der Tiefe sammelten sich die Finsteren um ihren Herrn und dieser summte ein leises Lied. Und da nahm er die Trümmer des Berges in seine Hände und presste sie erneut zusammen und er presste und presste sie immer weiter, biss sie zu einem einzigen gleißenden Edelstein wurden. Dieses Kleinod nahm alle Eindrücke seiner Vergangenheit, jede Schuld und jede Moral in sich auf und wurde so zum Zentrum seiner Macht. Denn immer wenn er das Chaos brauchte um Wunder zu vollbringen musste er nur in diesen Stein sehen. Dann kamen die Erinnerungen über ihn und mit diesen kam die Wut, das Leid und die Scham und schon erwachte der Dämon in seinem Herzen und fegte all diese Eindrücke hinfort bis erneut nur das Chaos herrschen konnte.

Als die nächste Nacht kam erhoben sich die Finsteren und krochen zur Öffnung des Berges hinauf. Doch ihr Fürst wollte keinen einzigen von ihnen verlieren. Wie in der ersten Nacht würden einige von ihnen auf den Elementen reitend den Aufgang der Sonne verpassen und schließlich würden diese traurigen Seelen verbrennen wie ihre Vorgänger. Da schloss der Herr Wahnsinn die Öffnung mit einem Wink seiner Hände für immerdar.

Äonen vergingen in der Finsternis. Was einst die Silberhellen gewesen waren, waren nun die wenigen Jünger des Chaos. Sie verkrochen sich in den Stollen des Berges, suchten nach ihrem Sinn, doch finden konnten sie nur die Dunkelheit in ihren verdammten Herzen. Immer tiefer zogen sie sich zusammen und entfernten sich dabei voneinander. So strich die Endlosigkeit über sie hinweg und machte sie auf immerdar vergessen.

Niemand vermag zu sagen wieviele Wogen der Zeit über den Berg gegangen waren und niemand weiß was sich änderte über all diese zeit, doch einmal erwachte der Herr Wahnsinn aus seinem ewigen Traum des Chaos und was er da hörte ließ ihn erbeben. Dort oben, irgendwo oben, hörte er eine leise Stimme und diese Stimme rief ihn beim Namen. Wie endlos lange hatte er diesen nicht mehr gehört und wie sehr lechtste sein Herz danach ihn erneut zu hören. Da erhob sich der Dämon und suchte in seinem Reich nach derjenigen seiner Untergebenen die seinen Namen noch kannte. Aber so sehr er auch suchte, jeden Winkel und Stollen durchwühlte, er fand nur die ängstlichen Seelen seiner Vasallen und keine war unter diesen die seinen Namen noch kannte. Er pikste sie mit seinen Klauen, kniff sie in ihr weißes Fleisch, aber keine sprach zu ihm.

Schon wollte er sich wieder danieder legen, da hörte er den Laut erneut.

Er fuhr hoch, raste durch den Berg und schließlich kam er zu einer Silbermiene. Die Dunklen fürchten das Silber, es brennt auf ihnen wie das Licht der Sonne und so kamen sie selten an diesen Ort. Der Fürst aber war stark und konnte die Macht des Silbers ertragen. Da nahm er seinen Seelenstein unter seiner Robe hervor und entfachte seine Macht. All das Elend seiner Vergangenheit rief das Chaos aus ihm hervor und da entstand ein Riss durch den Stein. Breiter und breiter wurde der Tunnel und führte hinab, noch tiefer ins Erdreich hinunter. Dann aber drehte sich die Welt im Chaos und mit einem Male war es dem Dämon als ginge er wieder Bergauf. So grub er durch krachenden und knackenden Fels weiter mit Hilfe des Chaos und schließlich schuf er Tunnel und Treppen die weiter und weiter hinauf führten. Endlich erreichte er einen Ort der ihn an das einstige Tor in sein steinernes Reich erinnerte. Hier hielt er inne und befühlte die kalten Wände. Draußen war auf der anderen Seite und er gewahrte die Macht der Sonne und diese feine leise Stimme die nach ihm rief. Kaum konnte er sich halten, doch gelang es ihm sich zu beruhigen und zumindest abzuwarten bis das Licht an Macht verlor. Doch mit dem versiegen des Lichts, wurde auch die Stimme leiser. Sie entfernte sich, ging mit dem Licht. Erfasst von der Angst das Lied seines Namens zu verlieren hob er die Hände und wischte den Ausgang beiseite wie einen schweren Vorhang aus Stein. Grollend gab der Berg seinen Widerstand auf und entließ den Herrn Wahnsinn zum ersten Mal seit endlosen Zeit in die Welt hinaus. Einst hatte man ihn gerufen um Schmerz zu bringen der Leid besiegte, dieses Mal aber war er von Liebe und Neugierde gerufen worden.

 

Als nun der Herr der Dämonen nach all der Zeit in den düsteren Tiefen seines Berges hinaus in die neue Welt trat, traf ihn die Wucht des Lichts mit voller Härte und ließ ihn zurücktaumeln. So sehr hatte sich sein Innerstes vom Schein der Helligkeit abgewandt, dass er ihr Strahlen nicht länger zu ertragen vermochte. Doch die Angst die Stimme zu verlieren macht ihn rasend. Da wandelte er seine Haut zu schützenden Federn und machte sich ein Kleid aus diesen. Die Arme wurden ihm weit und überall spross es schwarz aus ihm heraus. Sein Gewand aber viel zu Boden und mit diesem der Stein. Als die Verwandlung zu Ende war, hockte eine große Krähe auf dem Felsgestein des Berges und blickte hinaus über das unbekannte Land. Das Gefieder des Vogels aber war so schwarz, dass es das Licht der Sonne verschlang und so dessen Macht in sich aufnahm. Unversehrt sah sich der Vogel um, doch hörte er nicht mehr das Lied seines Namens. Und überhaupt … welcher Namen? Denn die Krähe hatte keinen Namen und sie war auch nur sehr lose mit dem Dämon im Verbund und so erhob sich das Tier in den Himmel und erkundete auf der Suche nach Nahrung das Land. Erst als der Tag sich schließlich dem Ende neigte und die Dunkelheit die Macht über den Dämon zurück erlangte, konnte dieser wieder hervortreten und lenkte die Krähe sogleich zurück zum Berg. Hier angekommen wandelte sich der Herr Wahnsinn zurück und musste zweierlei erkennen: Das Lied war verschwunden. Die Nacht hatte es verscheucht. Tags über aber, konnte er es nicht jagen, denn er hatte keine Macht über die Krähenform. Und zum anderen stellte er fest, dass viele seiner Untertanen es ihm gleich getan hatten. Einige kehrten soeben, noch in Krähenfedern gehüllt, zu ihm zurück, doch andere fanden offenbar nicht den Weg und er hörte ihre verwirrten Rufe weit draußen in den schneebedeckten Wäldern.

Da schloss er seine fahlen Augen und streckte seinen Geist weit aus sich hinaus. Er rief sie und als sein Ruf über das Land erscholl, da hörte er ganz leise, weit entfernt eine leise Antwort. Das Lied war wieder da und sein Herz entflammte in heller Aufregung. Schnell hob er seinen Stein auf. Da wo er gelegen hatte war nun eine spiegelnde Fläche entstanden. Neugierig sah Herr Wahnsinn in diesen Spiegel, doch was wer sah war ihm so sehr leid, er musste den Spiegel mit der Ferse zertreten. Nie mehr wollte er sich sehen und so gab er einem seiner zurückgekehrten Untergebenen auf, einen Stab zu schnitzen, der fortan den Seelenstein tragen und vom Boden fern halten sollte. Als er nun aber aufhorchte um nach der Stimme zu suchen war diese wieder verschollen. Wutentbrannt hob er den Seelenstein in den Himmel und zog Blitze und Wetterleuchten aus den Wolken heran. Dann überzog er das Land mit eisigen Blizzards, Unwettern und dem schieren Chaos der Elemente. Die ganze Nacht tobte er in seiner Urmacht und erst als die Sonne aufzugehen drohte ward er müde und zog sich in die Tiefe seines Berges zurück. Den Eingang aber verschloss er, und keiner seiner Untertanen ging in dieser Nacht verloren. Draußen, im weiten Land aber war viel Wehe und Leid entstanden. Die Elemente hatten unzählige Leben ausgelöscht und das Land in eine Einöde aus Eis und Tod verwandelt. Klirrende Kälte wie im Herzen des Dämonen herrschte nun über die Nacht und als der Tag kam, war die Sonne nicht im Stande das begangene Unheil zu richten. So sollte es lange dauern, bis sich das Leben erholen und von neuem sprießen würde. Ganz jedoch, würde die Auswirkung des Dämonenherzens sich nie wieder vertreiben lassen. Das Land war zu einer Winterwelt geworden.

Nachts in der Dunkelheit, streifte der Herr Wahnsinn Zeit um Zeit über das Land. Er hatte die Seinen wilde Rösser fangen lassen, aber nur die stärksten und schwärzesten waren in der Lage dem Dämon zu dienen. Diese Nachtbrut zog er auf und sie trugen ihn und seine Nachtgenossen auf ihren Rücken durch die Winterwelt. Jegliches Leben zog sich erschreckt zurück und floh, wenn die Wilde Jagd des Herrn Wahnsinn über das Land fegte. Suchend, durchkämmte er und seine Diener die Welt, doch nie wieder erscholl der Ruf nach seinem Namen. Nicht zur Zeit der Finsternis. Doch immer wieder, in manchen Nächten, erscholl der Ruf, wenn die Reiter zurück zum Berg flohen um nicht dem Licht der Sonne anheim zu fallen. Dann, in den letzten Atemzügen der Nacht, konnte er sie Rufen hören und sofort wandelte er sich, ließ sein Gewand und seinen Stab der Macht zurück und erhob sich hoch in die Luft. Aber so sehr er sich auch bemühte, so sehr er seinen Geist anstrengte, die Krähe verlor stets die Konzentration und stob spielerisch durch die Winde. Sie kümmerte kein Rufen. Sie wollte mit den Weibern ihrer Art spielen, Raubvögel aus ihrem Revier vertreiben und dem Wurm der Erde auflauern nach dem sie in Schnee und Eis pickte. Der Dämon aber vergas das Fehlen der Krähe schnell wenn die Nacht kam. So verging die Zeit. Krähen, Rösser, der Stab der Macht, der Berg des Wahnsinns, eine Welt aus Schnee und Eis und nie und nimmer eine Chance für den mächtigen Herrn dieser Welt seine Bestimmung zu finden. Im Laufe der Zeit verlor der Herr Wahnsinn sein Ziel aus den Augen und das Treiben seines Seins nahm jeglichen Platz in seinem Herzen ein. Nicht länger folgte er dem Ruf nach seinem Herzen. Meist nahm er ihn nicht einmal mehr wahr. Stattdessen donnerte er mit seinen Häschern über das Land, der Jagd willen, flog als Krähe umher des Fliegens Willen und wenn er Unheil über das Land brachte, so tat er es dem Unheil wegen.

Niemand kann sagen wie lange dies so ging, doch das Land wurde härter und härter unter den Hufen der Chaosrösser. Jegliches Leben der Winterwelt passte sich an das Chaos seines Herrn an und so wurde die Welt ein gefährlicher und unnahbarer Ort.

 

Irgendwo, weit vom Berg des Wahnsinns entfernt gab es auch viele viele Jahre nachdem die Welt zur Winterwelt geworden war eine kleine Hütte aus Holz. Zu jeder Zeit stieg sich kräuselnder Rauch aus dem Kamin der Hütte und bleiches, gelbes Licht schien bei Nacht aus seinen Fenstern. In der Hütte aber lebte der alte Nigh. Ur alt sollte man sagen, denn die Zeit hatte vor ihm nicht halt gemacht wie sie es bei den Nachtwanderern tat. Tiefe Furchen zogen sich durch seine Haut und auch sein Herz war kraftlos und müde geworden. Seine Tage aber waren hart und er musste schwer arbeiten, um in der von seinem einstigen Prinzen verfluchten Welt überleben zu können. Warum er noch lebte entzog sich seinem Verstand. Er hatte vor langer Zeit dem Berg den Rücken gekehrt, war ins Land hinaus gezogen. Mit den Dämonen dort oben in ihrer eisigen Zuflucht hatte er nichts mehr zu schaffen.

Einsam war er, der alte Schneider, einsam und verloren in einer verlorenen Welt. Wie der Dämonenfürst, hörte auch der Nigh ab und an den süßen Ruf der Mädchenstimme. Wenn die Winde günstig wehten, wenn sie vom Süden mit einiger Kraft in den Wald den er nun bewohnte wehten, dann konnte er erkennen was sie sang. Mehrmal hatte er sich schon aufgemacht den Ursprung der Stimme zu suchen, doch jedes Mal hatte er ihren Ruf nach einiger Zeit verloren und so kehrte er stets unerfüllt zu seinem Heim zurück. Zu kalt war diese Welt und zu unwirtlich. Es war als versperrten ihm die Elemente des Herrn Wahnsinn den Weg zu seinem lieblichen Ziel, doch in Wahrheit war es auch sein hohes Alter und sein erkaltetes Herz die ihn zurückhielten. So hörte er auf die Stimme zu suchen, hackte in etwas wärmeren Zeiten Holz, sammelte Pilze, Wurzeln und Gemüse und lagerte all diese Dinge ein um die noch härteren kalten Zeiten zu überleben. So entstand ihm ein Rhythmus und in diesem wollte er den Rest seine Daseins überstehen. Bald vergas er was einst gewesen war. Sein Geist verlor den Hass den er einst hegte und auch seine Erinnerungen an die stolzen Silberhellen und ihre vergangene Welt. Dann war dem alten Nigh, als wäre er schon immer ein einsamer Einsiedler in der vor Kälte klirrenden Winterwelt gewesen.

Doch nichts bleibt für immer gleich und so geschah eines Tages etwas ganz und gar seltsames nahe der Hütte des alten Mannes. Er war gerade dabei mit seiner Axt ein Loch in den zugefrorenen Bach hinter seinem Haus zu schlagen um frischen Tang zu Tage zu befördern, da erscholl ein lautes, schmerzerfülltes Krähen vom Gebälk seiner Hütte. Dann ein Fauchen und wieder ein Vogelruf und schließlich ein wildes Poltern und Kratzen. Als er gänzlich ausser Atem um die Hütte gestapft war, gewahrte er eine große Schneekatze, die eine Krähe im ihren Pranken hielt und gerade im Begriff war zuzubeißen. Da hob der Alte einen Stein auf und schleuderte ihn der Katze auf den Hintern, so dass die geschmeidige Jägerin mit allen Vieren hoch aufsprang und all ihr Fell vor Schreck weit von ihr abstand. Der Alte schnaubte böse und hob einen weiteren Stein, denn die Schneekatze fuhr zu ihm herum und fauchte ihn hasserfüllt an. Doch als er mit dem Stein ausholte begriff das Tier was geschehen würde und zog sich mit schnellen Sprüngen über den Bach zwischen die nahen Bäume zurück. Rotes Blut hob sich hier zu Lande schmerzhaft klar vom weiß des Schnees ab und sie hatte noch viel Zeit den alten Zweibeiner zu jagen. Sie konnte sein Alter riechen und eines Tages würde er keinen Stein zur Hand haben wenn sie gerade in der Nähe war.

Der Nigh aber schlurfte indes zu der am Boden liegenden Krähe hin. Einer ihrer Flügel war gebrochen und sie hatte eine schlimme Wunde an der Seite. Sie würde sterben, ganz sicher, denn die Kälte kannte keine Gnade ihn diesem Reich. Da hob er die Krähe auf und trug sie in seine Hütte. War er nicht einst der Schneider des Königs gewesen und auch wenn viel Zeit vergangen war, seine Nadeln hatte er noch und er wusste wie man mit ihnen umging. Doch er wusste auch, dass er warten musste. Jetzt in der Krähenform, konnte er diesem unglücklichen Geist keinen Beistand leisten. Erst wenn die Sonne untergegangen war würde er handeln. Also versorgte er die Wunden nur notdürftig und wartete ab.

Als das Tagesgestirn endlich der eisigen Finsternis der Nacht wich, sah er der Verwandlung der Krähe zu. Er kannte diesen Vorgang gut, hatte ihm aber noch nie zuvor so nahe beigewohnt. Als die Federn der Krähe wichen und das weiße Dämonenfleisch erschien wurden die Augen des Alten groß. Schaudernd erkannte er in dem verletzten Wesen das da auf seiner Nachtstätte lag eine der einstigen Prinzessinnen seiner Vergangenheit. So schön war sie in ihrem Leid, dass er seinen Blick nicht abzuwenden vermochte. Ihre Haut war strahlend Weiß im Zwielicht des Kaminfeuers und ihr Haar von spiegelnder Schwärze. Der Nigh strich es ihr aus dem Gesicht und als sie die Augen öffnete waren sie so tief und kalt wie unberührte gefrorene Bergseen.

Da sah er endlich doch weg und begann mit seiner Arbeit. Ihre Wunde musste genäht werden und dies zu tun nahm er eine seiner feinen alten Nadeln aus reinem Silber. Sie zischte vor Schmerz, denn die Berührung von Silber schmerzte die Nachtläufer, aber sie war zu schwach um sich zur Wehr zu setzen.

Erst als er ihren gebrochenen Armknochen gerichtet und ihre Wunden mit Salbe aus Moosen bestrichen hatte, beruhigte sie sich ein wenig und nun legte er ihr ein Fell eines toten Rehes das er einst gefunden hatte um die Schultern. Dann zog er sich zurück und tat Dinge die ein alter einsamer Mann in seinem Heim tat. Die Dämonin aber blieb auf dem Lager zurück und funkelte böse durch das Zwergenheim.

Drei Tage und drei Nächte vergingen und der Nigh hielt während dieser Zeit seine Fenster fest verschlossen. So verwandelte sich die Nachtläuferin nicht und ihre Wunden begannen zu verheilen. Erst in der dritten Nacht trat er wieder zu ihr und reichte ihr eine dünne Brühe aus Gemüse und Wurzeln, doch sie rührte das karge Mahl nicht an. Als er ihr stattdessen Beeren bot fegte sie diese aus seiner Runzeligen Hand und als er sie aufheben wollte sprang sie ihm auf den Rücken um ihn ins Genick zu beißen. Der alte Zwerg mochte gebrechlich geworden sein, aber er war immer noch ein Zwerg und so stieß er das Hexenweib von sich und sie ging polternd zu Boden. Sofort bereute er die Härte seiner Tat und eilte ihr zu Hilfe. Und dann sah er ihre Tränen und mit einem Mal änderte sich etwas in seinem Herzen. Da war jetzt ein Funke, welches das Eis zum schmelzen brachte und auch sie schien die Veränderung zu spüren. Hatte sie nur so gehandelt weil er selbst so bar aller Gefühle gelebt hatte? War sie ein Spiegelbild seiner selbst, ein Alpdruck, vom Herrn des Berges gesandt ihn, seinen einstigen Peiniger nun zu verhöhnen?

Da hob der Nigh das schöne Dämonenmädchen auf und legte es zurück auf seine Nachtstätte und als er ihr diesmal die Brühe hinhielt, nahm sie das hölzerne Gefäß und trank. So wurden sie Freunde und niemals wider versuchte die Nachtläuferin ihn zu beißen und niemals wieder hob er die Faust gegen seinen schönen Gast.

Die Zeit verging und die Wunden der Dämonin verheilten und sie teilten ihre Geschichten und ihre Trauer miteinander. Sie erzählte ihm von den Festen in der Tiefe des Berges und von dem Sehnen ihres Herren, das dieser vergessen hatte und er berichtete von seiner Einsiedelei und von der Leere seines Dasein. Da beschlossen sie Freunde zu bleiben für alle Zeit, denn sie waren so unterschiedlich, dass diese Andersartigkeit einen jeden von ihnen aus den Klauen ihrer jeweiligen Bestimmungen reisen konnte. Bei tage schlief die Nachtwandlerin und der Nigh ging hinaus, suchte nach Essbarem und hackte das Holz für seinen Kamin. Bei Nacht aber kam er zurück und sie unterhielten sich lange und er wurde es niemals müde ihrem lieblich wehmütigen Gesang zu lauschen. Er war alt und brauchte nicht viel Schlaf, doch wenn er sich dann früh am Morgen auf sein Lager legte, kam sie und schmiegte sich wie eine Katze dicht an seinen stämmigen Leib.

Eines Tages, es war kurz vor Sonnenuntergang an einem besonders kalten Tag, ging der Nigh von seinem Tageswerk zu seiner Hütte zurück. Er hatte einen langen Weg zurück gelegt, um besondere Erze aus dem vereisten Boden zu bergen. Nun schleppte er das Gestein auf seinem Rücken durch die verschneite Winterlandschaft. Stille und das ewige Weiss der Kälte umgaben ihn und der Nebel der vorrückenden Nachtschatten nahm ihm die Sicht. So merkte er auch nicht seine vorsichtige Verfolgerin. Seit geraumer Zeit nämlich hatte die Schneekatze seine Wege beobachtet, sich aber stets aus seinem Gesichtsfeld heraus gehalten. Behutsam war sie hinter ihm her geschlichen, hatte sich geduckt wenn er enthielt und war näher gekommen wenn er unachtsam war. Heute war sie ihm näher gekommen als je zuvor. Sie konnte seinen Atem riechen, spürte seine Müdigkeit und die Schwäche des Alters in seinen Knochen. Heute würde er es nicht schaffen seine Hütte vor Einbruch der Nacht zu erreichen. Die Dunkelheit, die Kälte und der Nebel aber waren die Verbündeten der Jägerin. Näher und näher schlich sie sich an den Alten heran. Sie hatte ihre Schmach nicht vergessen und nun war die Zeit der Abrechnung gekommen. 

Als der Nigh nun an einen keinen Bach kam der nicht zur Gänze zugefroren war und sich bückte, um einen Schluck des eiskalten Wassers zu sich zu nehmen schlug die Jägerin zu. Mit einem gewaltigen Satz sprang sie aus ihrer Deckung, den alten Mann hinterrücks auf den gebeugten Buckel. Blitz schnell riss sie ihm mit messerscharfen Klauen den Mantel auf und versenkte ihre langen Zähne in sein Genick.

Der Zwerg schrie auf und versuchte die Katze zu packen, doch die Last auf seinem Rücken und das Wüten des Tieres ließen ihn stattdessen zu Boden gehen. Kämpfend rollten die beiden Wesen einen keinen Buckel hinunter und prallten gegen den stumpf eines morschen Baumes. Der Nigh hatte seinen mit Steinen gefüllten Beutel und einen seiner Handschuhe verloren. Die Schneekatze indes war behände auf die Pfoten gekommen und bereit für einen zweiten Angriff. Fauchend schnellte sie über den Schnee und es war als schwebe sie, so wenig sank die in die weisse Kälte ein. Verzweifelt sah sich der Alte um, aber diesmal war da kein Stein, denn er zur Verteidigung hätte nutzen können. Der Aufprall der angreifenden Katze lies ihn erneut zu Boden gehen. Er versuchte das Tier zu packen, griff aber mehrmals daneben und als er endlich traf war es seine schutzlose Hand, die an den scharfen Zähnen des Raubtieres hängen blieb. Laut hallte der Schmerzensschrei durch den nächtlichen Winterwald. Diese Sekunde der Unaufmerksamkeit nutze die Angreiferin ihre Zähne erneut in das Fleisch ihrer Beute zu schlagen. Sie traf den Hals des Zwerge und nur der Kragen seines dicken Mantels rette sein Leben. Doch der wütende Angriff war längst nicht vorüber und die verzweifelte Abwehr des Zwerges erlahmten zusehends. Schon biss die Bestie erneut zu und diesmal drangen ihre Zähne durch Fleisch und Knochen.

Plötzlich aber wurde die Nacht um die beiden Kämpfenden dunkler und der Glanz der Eiskristalle erlosch vollends. Die ohnehin schneidende Kälte wurde noch lähmender und dann erloschen alle Sterne und versetzten Zwerg und Katze in einen Alptraum aus kältester Schwärze. Da erhob sich eine flüsternde Stimme und der Kampf kam zum Ende. Keiner der beiden konnte etwas sehen, doch die Katze hatte ihren buschigen Schwanz zwischen die Beine geklemmt und der Zwerg presste seine Hand auf die blutende Wunde an seinem Genick.

Während aber die Stimme sprach, hielt die eisige Hand der Kälte die beiden ungleichen Wesen und sie sprach so: »Kenne ich Dich nicht, alter Mann? Warst du nicht vor langer Zeit im Berg?«

Der Nigh aber schloss seine Augen und bereitete sich auf das Ende vor, denn er spürte tief in seinem Herzen seine ablaufende Lebensfrist. Er wollte etwas erwidern, doch der finstere Herr Wahnsinn kam ihm zuvor.

»Hier liegst Du nun am Boden. Hierher haben dich dein Hass und deine Ränke gebracht. Welch ein erbärmliches Ende für einen wie Dich.« Und da versiegte das Interesse der Dunkelheit auch schon und der Nigh fand sich mit seinem Schicksal ab.

Aber gerade als der Herr des Berges sich zurückzuziehen gedachte erklang eine neue Stimme in der Finsternis. Es war die junge Krähe die der Nigh gerettet hatte die da silberhell sprach: »Oh mein Fürst, wendet euch nicht von uns ab. Seht, dieser mag einst Unheil gegen die unseren gehegt haben, doch vor Jahr und Tag hat er mein Dasein gerettet und zwar vor eben diesem Geist, der ihn heute Nacht heimsucht. Bitte oh Herr, lasst um meinet Willen dieses eine mal Gnade vor Recht ergehen diesem Manne gegenüber, der mir mit Güte und Wohlwollen und ohne eigene Vorteile begegnete als ich in größte Not geraten ward.«

Da erglommen die Sterne von neuem und der riesige Schatten des Herrn Wahnsinn hob sich gegen den Nachthimmel ab und er hob seinen Stab der Elemente und mit böse glimmenden eisblauen Augen richtete er das Wort an den Nigh: »Du hast die Worte meiner Dienerin gehört, sie verlangt dein Wohlergehen. Ich sehe in Deinem Herzen die Müdigkeit und ich sehe auch den Funken meiner Macht in deinem Kopfe. Nicht mehr lange und Du wirst für diese Nacht bezahlen. Nun aber sollst du die Zeit erhalten um zu genesen und den Preis dafür zu zahlen.«

Der Nigh vernahm die Worte, doch verstand er nicht alles. Es war ihm längst egal geworden. Zu lange hatte dieses Leben gehalten und leid war es ihm geworden. Trotzdem stemmte er sich hoch und als er die Katze sah wie sie sich duckend davonschlich wurde ihm klar, er würde noch ein wenig weiterleben.

»Was für ein Preis soll das sein, Prinz der Finsternis?«

Der Herr Wahnsinn aber antwortete: »Du wirrst mir etwas bauen alter Mann. Mit deinem Wissen um die Dimensionen und meiner Macht über die Elemente werden wir etwas schaffen. Gemeinsam.«

Da traten die Häscher des finsteren Lords zwischen den zugeschneiten Ästen der Bäume hervor und packten den alten Zwerg. Sie rissen ihn aus der Winternacht und hoben ihn hoch auf ihre Mitternachtsrösser. Und da stoben sie auch schon davon, gen Norden, zum Berg des Wahnsinns.

Die Prinzessin und der Prinz aber standen sich noch gegenüber und sahen der Schneekatze hinterher. Das Tier war beinahe zwischen den Bäumen verschwunden, da hob der Herr Wahnsinn seinen Stab um einen Finger breit an und der Stein am Ende des Zepters ward plötzlich von einem fahlen blauen Glimmen erfüllt.

Da kam ein schauderhaftes Fauchen das schnell ihn ein von Höllenqualen zeugendes Weinen aus der Richtung der geschlagenen Räuberin und das Krähenmädchen bat auch für diese geschundene Seele um Gnade. Der Herr Wahnsinn aber verriet mit keiner Miene sie wahrgenommen zu haben und so wandelte er das gemarterte Tier zu einer Chimäre wie noch kein Sterblicher sie zuvor gesehen hatte. Hinkend und wimmernd floh das Wesen. Doch all seine Nachfahren würden aus Rache für diese schlimme Nacht Generation um Generation den Zweibeinern der Winterwelt das Leben schwer machen.

 

Im Berg angekommen schlugen die Nachtläufer den Zwerg in Ketten. Sie brachten ihn zu einem finsteren Platz, tief in den Minen des Gebirges und er wartete auf die Ankunft des Herrn Wahnsinn. Er verstand nicht was er tun sollte, doch wusste er um den Geisteszustand des Herrn dieser Welt und so erwartete er nichts Gutes. Als der Fürst des Berges schließlich eines Nachts die Kaverne des Nighs betrat war dessen Haut und sein schütteres Haupthaar längst weiß wie das Antlitz einer Jungfrau geworden.

Gebrochen sah der Nigh zu Herrn Wahnsinn auf und dieser kniete sich neben den Alten Mann und begann ihm zuzuflüstern was man von ihm erwartete. Viele Nächte beschrieb der Herr Wahnsinn seinen Plan und langsam, ganz langsam kroch er in die Tiefen des gemarterten Zwergengeistes hinunter.