Encyclopaedia GalacticaLiteraturAuswahl

Zero Zero

Inhaltsverzeichnis

Ursprung: Terra

Land: Teutonia

Wert: 20 Credits

Original: © November 2017 Blum

eBook: © November 2017 choose your art

Titelbild: Blum

Titelgestaltung: Blum

Satz: Blum

Korrektur: Sim

 

Speyer, Deutschland

Alle Rechte vorbehalten

 

Lieber Leser, solltest du Anregungen oder Kritik für unsere Produkte haben, würden wir uns sehr über eine eMail von dir freuen: xo@karma23.de

 

Für den Homo sapiens, der es wohl niemals schaffen wird wirklich »dressed for the moment« zu sein. Für uns alle.


Charakteristisch für den Menschen ist, dass er in einer lang andauernden Kindheit auf mitmenschliche Zuwendung und Versorgung angewiesen ist, dass er die Fähigkeit zum Spracherweb hat, besondere geistige Anlagen besitzt und besondere kulturelle und soziale Bindungen eingeht. Sein Bewusstsein erschließt dem Menschen unter anderem eine zeitliche und geschichtliche Dimension sowie ein reflektiertes Verhältnis zu sich selbst, zu den eigenen Antrieben, Handlungen und ihren möglichen Folgewirkungen ...

Wikipedia

Ein Bekenntnis

Ich habe überlebt. Es muss so sein, denn ich bin hier und kann diese Geschichte erzählen, aber wirkliche Sicherheit gibt mir das nicht. Niemand wird  jemals wieder sicher sein. Auch sie nicht. Die Geschichte soll erzählt werden. Ich sehe in ihr keine Warnung, auch keine Anleitung. Vielmehr ist sie eine Art Bekenntnis. Sie ist mein Bekenntnis der Verwunderung, denn ich lebe und damit war nun wirklich nicht zu rechnen.
Wenn man bedenkt wie die letzten Jahre verliefen, was passierte, dann hätte ich den heutigen Tag sicher nicht sehen dürfen. Aber offenbar verkennen wir Menschen uns selbst stets am meisten. Sehen wir uns als gütig, freundlich und nett, dann schlummert allzu oft eine düstere, gierige Bestie in unseren Herzen. Doch scheinbar geht das auch andersherum.

Ich selbst hielt mich immer für einen, sagen wir, nicht ganz so netten Zeitgenossen. Ich habe in meinem Leben schwächere verprügelt, Menschen verachtet und es ihnen auch gezeigt, gestohlen, geraubt und Schlimmeres getan, worüber ich aber hier nicht sprechen möchte weil es mir tatsächlich immer noch peinlich ist. Peinlich - trotz allem was geschehen ist.
Wie auch immer – ich bin noch hier und daraus schließe ich auf eine instinktive Besserung meines Seelenheils. Es war überhaupt nicht schwer. Einzig die Erkenntnis der Wahrheit über die neuen Gesetze haben dafür gereicht. Ich habe mich analysiert und erkannt was zu tun war. Dann habe ich gehandelt und mich angepasst. 
Es reicht natürlich nicht so zu tun als hätte man sich geändert. Es scheint auch keine Rolle zu spielen was man in seinem Inneren fühlt. Einzig was zählt, ist was man tatsächlich tut oder in naher Zukunft tun würde. Darum sage ich: überlegen Sie sich ihren nächsten Schritt mit bedacht. Sie werden gleich sehen wieso.

Burn

Tag 39, früh am Morgen, 52° 3′ N, 1° 9′ O, im Frühling

Thomas spazierte die Neptun-Marina entlang. Es war noch früh am Morgen und er genoss das Fehlen menschlicher Stimmen. Über ihm kreisten die Möwen über den Booten. Die kühle Luft ließ ihn frösteln und er zog seinen olivfarbenen Parka am Hals zusammen. Mit kalten Fingern nestelte er in eine der Jackentaschen herum, fand schließlich die zerdrückte Zigarettenschachtel und das Feuerzeug und zündete sich die Letzte an. Tief an der Zigarette saugend inhalierte er den Rauch. In der kalten Luft bildeten sich graue Schwaden vor seinem Gesicht. Sein Mund fühlte sich taub und schmutzig an. Er liebte dieses Gefühl der dummen Verkommenheit am Morgen. Dicht am Pier stehend sah er auf das Wasser hinaus. Es war nicht blau, wie es ein Kind malen würde, eher hatte es die Farbe von angelassenem Metall. Ein Ton zwischen Stahlgrau und Blau, dachte er und schlenderte weiter.
Nach dem Campus ging er in Richtung seiner Wohnung. Sicher hatte sie das Frühstück vorbereitet. Thomas dachte an die vergangene Nacht. Ziemlich ruppig war sie gewesen. Er musste bei dem Gedanken lächeln. Aber sie mochte es ja ruppig. Sie mochten es alle so. 

Die Myrtle Road war ein teures Wohnpflaster. Zum Glück konnte er es sich leisten. Als Sohn eines arsch-reichen Politikers und einer Diamanten scheißenden Diva – die ihn zwar nicht zur Welt gebracht, ihm dafür aber sein Studium finanziert hatte, konnte er sich nahezu alles leisten. Er selbst verdiente sich seine Brötchen indem er anderer Leute Münder restaurierte. Früher hätte man ihn Zahnarzt genannt. Aber er war kein Arzt im herkömmlichen Sinne. Er ließ Schönheitsfehler verschwinden. Mit seinem Computer zauberte er makellose Zähne die zwar nichts mit der Realität zu tun hatten, aber aus einem schamvollen Lächeln das künstliche Lachen des Sieges machen konnten. Zu seinen Kunden gehörten einige der ganz großen. Aber die ärztliche Schweigepflicht verhinderte das Übergehen deren Ruhms auf seine eigene Person. Dafür ging deren Geld zu ihm über und dieser Umstand genügte ihm.
Im Flur seines Hauses roch es nach frischem Kaffee und Brötchen aus dem Backofen. Lieber wären ihm Brötchen vom Bäcker gewesen, aber er konnte verstehen, dass sie in ihrem Zustand das Haus nicht verließ.
»Hallo Liebling, ich bin wieder da,« flötete er von der Tür aus und trug den Schmutz der Straße in den Flur. Achtlos schleuderte er seine Schuhe neben den Schrank und hängte seine Jacke an einen der Haken. Er bückte sich nach der Morgenzeitung. Sie lag auf dem Boden weil der Austräger sie mal wieder durch den Briefschlitz gedrückt hatte. Blödes Arschloch, dachte Thomas und faltete das zerknitterte Papier auseinander. Er überflog die Schlagzeilen während er in die Wohnküche hinüber ging. Kurios, da war schon wieder ein Artikel über einen Blitzeinschlag. Er lachte und setzte sich an den Tisch. Schon gestern hatte er den Bericht über diesen armen Teufel der original in seinem Haus von einem Blitz getroffen und gegrillt worden war in den Abendnachrichten gesehen. Heute berichtete die Times wieder von einem. Es soll mindestens drei Fälle in den letzten Wochen gegeben haben.
Er dachte nach und sah aus dem Fenster. Keine Wolke am Himmel. Wie konnte man bei diesem Wetter vom Blitz getroffen werden?
Die blöde Kuh hatte den Tisch noch nicht einmal gedeckt. Was sollte das? Sie wusste doch ganz genau wie ungern er sich darum kümmerte. Schließlich hatte er ihr gesagt sie solle sich morgens wenn er daheim war um das Frühstück kümmern. Es war wohl nicht genug dass er das Geld verdiente.
Er musste dringend ein ernstes Wort mit ihr reden. Schon wieder. Sie war einfach anstrengend.
Seine letzte war auch anstrengend gewesen aber er hatte ihren Arsch gemocht. Müßig darüber nachzudenken. Frauen waren alle gleich. Wenn man ihnen zu viel durchgehen ließ tanzten sie einem hart arbeitenden Mann nur noch auf der Nase herum. Man musste sie hart anpacken, um klar herauszustellen wer das sagen hatte.
Von dem Kerl hatten sie praktisch nur noch Schlacke gefunden. Er war in seinem Badezimmer verbrannt. Tom schüttelte den Kopf und goss sich eine Tasse Kaffee ein. 
»Tina? Vielleicht bewegst du mal deinen fetten Arsch in die Küche?«
Langsam begann er echt ärgerlich zu werden. Musste es denn schon wieder so weit kommen? Das war gestern Nacht beim ficken schon scheiße genug gewesen. Erst hatte sie sich geziert und versucht ihn mit dem üblichen dummen Gelaber über seine Arbeit abzulenken und dann hatte sie nicht richtig mitgemacht. Er hasste das. Aber nichts was ein paar Schläge auf den Hinterkopf nicht gerade rücken konnten. Pech das sie mit der Wange an den Bettpfosten angeeckt war. Kleine Schramme – kann passieren. Hat sie was gelernt, schadet nichts.
Sie kam. Endlich. Thomas sah ihr über den Rand seiner Tasse entgegen. Ziemliches Veilchen, dachte er und musste Grinsen. Beim Gedanken an ihre Möse wurde ihm warm im Schritt. Vielleicht sollte er sie gleich nochmal rannehmen. So richtig hart, als Strafe für das nicht fertig gemachte Frühstück.
Der Gedanke stimmte ihn etwas versöhnlich und er lächelte sie an. 
Zögerlich kam sie näher. Sie lächelte jetzt auch vorsichtig. Sie machte es so wie er es ihr beigebracht hatte. Immer mit leicht geöffneten Lippen. So sah man ihre tollen Zähne die er ihr gemacht hatte. Perfekt, weiß, Hollywood – er war ein Meister seines Fachs. Der abgebrochene Schneidezahn denn er gezogen und dann neu implantiert hatte war besser als das Original. 
»Setz dich, heute mache ich das Frühstück«, sagte er gut gelaunt und warf die Zeitung auf einen der Stühle. Wenn ich warte bis du deinen Arsch bewegst verhungere ich zwischendurch, ergänzte er in Gedanken. Dann holte er Teller und Besteck, brachte Marmelade, Butter und den Brotkorb an den Tisch. 
Tina hatte sich hingesetzt. Sie wirkte entspannter, sah ihm aber genau zu. Sollte sie auch, damit sie lernte wie er es gerne hatte. Sie konnte ja wohl kaum davon ausgehen, dass er ihr kostenlos die Fresse richtete und auch noch das Frühstück ans Bett brachte. Weiber – gib ihnen den kleinen Finger und dein Bungalow ist im Arsch. 
Er goss ihr Kaffee ein und sie rutschte ein fast unmerkliches Stückchen von ihm weg. Letztes Wochenende hatte er ihr etwas Kaffee über die Titten  geschüttet. Er hatte halt nicht richtig aufgepasst. Kein Wunder. In der Praxis nervten ihn seine Patienten und daheim stresste ihn seine Schlampe von Freundin. Zu allem Überfluss hatte ihn auch noch sein Vater angerufen an dem Tag. Nichts konnte ihn mehr auf die Palme bringen als wenn seine Alten ihm wegen Geldsorgen auf den Sack gingen. Nichts ausser vielleicht Tina wenn sie rumheulte. Er hatte ihr echt eins aufs mal geben müssen, sie hätte sonst nie mit ihrem Gejammere aufgehört. Bisschen warmer Kaffee auf den Titten, mein Gott hatte die böse kuh nichts schlimmeres über das sie sich aufregen konnte?
Er sah sie an und langte dann nach den Brötchen. Mit einer generösen Geste gab er ihr auch eins und sah ihr zu wie sie die Butter aus dem Stanniolpapier löste. 
»Nimm lieber die Margarine, dein Arsch ist so schon fett genug«, sagte er und schubste ihr die Plastikschachtel gegen den Teller. In ihren Augenwinkeln bildete sich eine Träne. 
Oh man, jetzt geht gleich das Geflenne wieder los.
Er lehnte sich auf seinen Stuhl zurück und faltete die Zeitung wie einen Schutzschild zwischen sich und Tinas Schmerz aus. Erneut überflog er den Bericht über den toten verbrannten Mann. Thomas wusste genau, dass er der Grund für Tinas Schmerz war. Ja ja ja, ich bin manchmal grob, aber die blöde Votze hatte es meistens auch wirklich verdient sagte er reumütig in Gedanken zu sich selbst.
Dann musste er plötzlich furzen. Der Kaffee mache sich bemerkbar. Wenn er auf nüchternen Magen von dem Zeug trank musste er meistens kurz darauf aufs Klo. Was soll's? Er konnte Tinas Leidensblick eh nicht mehr ertragen. 
Mit der Zeitung unter dem Arm stand er auf und schob den Stuhl über den Resopalboden. 
»Lass es dir schmecken Schatz«, sagte er in sarkastischem Ton. »Ich geh mal kacken.«
Sie erwiderte nichts, fixierte einen unsichtbaren Punkt auf dem Glas des Küchenfensters. 

 

Im Bad klappte Thomas den Klodeckel auf. Die Brille war aus durchsichtigem Acryl. Darinnen befand sich ein rostiger Ring aus Stacheldraht. Das blöde Ding hatte ihm sein Bruder vorletzte Weihnachten geschenkt. Thomas liebte diesen Idioten trotz seiner andauernden Weiber- und Drogenorobleme. Vergewaltigung war scheisse. Das der Idiot sich nicht einfach eine Schlampe wie Tina zulegen konnte. Die könnte er ficken wann immer er wollte, ohne der ganzen Familie Ärger zu bereiten. Thomas dachte darüber nach Tina an seinen Bruder Jordan weiter zu reichen. Er hatte eh langsam die Nase voll von ihrem andauernden Gejammere. 
Leger klappte er den Deckel hoch, öffnete seinen Gürtel, setzte sich und faltete die Zeitung auseinander.

›Mann im Bad vom  Blitz erschlagen‹, laß er zum dritten mal die Schlagzeile und drückte dabei. Als sich sein Schließmuskel zu entspannen begann ging ein Zucken durch seinen linken Fuß. Für den Bruchteil einer Sekunde spürte er die statische Aufladung der feinen Härchen in seinem Nacken. Dann traf ihn ein gleißender Lichtbogen mitten auf den Scheitel und verschmorte seinen zuckenden Körper zu einer widerlichen Masse aus verkohlten Sehnen und verbranntem Fleisch ...

 

Als die Feuerwehr den Ort des Geschehens erreichte wusste keiner von ihnen Rat. Die junge Frau die sie in der Küche unter dem Tisch fanden weinte hysterisch und konnte keinerlei Auskunft über die Sache geben. Die Schweinerei im Bad würde keiner der Männer des Rettungsdienstes je vergessen. Fenster und Spiegel, ja selbst die Fließen  waren vom Fett des Opfers verklebt. Es roch pervers nach verbranntem Fleisch und Kot. Der Tote saß noch auf dem Klo und die Brille war geschmolzen und zum Teil mit seinen Knochen verbacken. Deutlich war der Stacheldraht zu erkennen, der sich links und rechts um die Beine der Leiche wand.
So grotesk und widerlich war dieses Bild, so unerträglich stank der fettige Qualm der jetzt dem ganzen Haus anhaftete, dass acht der zwölf Männer sich übergaben und diese Leute hatten gewiss schon einige Scheiße in ihrem Berufsleben zu sehen bekommen.
Einer von ihnen, sein Name war Rick Meyer, wurde keine acht Tage später ebenfalls von einem Blitz erschlagen. Zu dieser Zeit machten manche Leute noch Witze darüber ob Blitze ansteckend sein könnten. Aber das sollte sich sehr bald ändern.

Wissenswertes

Unter Blitzen versteht man landläufig eine Funkenentladung zwischen den Wolken und der Erde. Auch können solche Lichtbögen direkt zwischen den Wolken entstehen und finden in der Regel während eines Gewitters statt. Gewitter – seltsames Wort – finden Sie nicht?
Ich habe mich über diese Phänomene informiert, habe alles darüber gelesen, um sie zu verstehen und meinen Prozess der Anpassung zu beschleunigen. Jetzt im Nachhinein habe ich aber nicht wirklich das Gefühl als hätte diese Maßnahme geholfen. 
Während eines Unwetters kommt es mitunter zu starken elektrostatischen Aufladungen der in der Luft befindlichen wolkenbildenden Wassertröpfchen. Hierbei werden Elektronen oder Gas-Ionen ausgetauscht. Es fließen elektrische Ströme. Voilà, ein Blitz ist geboren und zeigt uns, begleitet von Donnerhall als heller Speer des Allvaters Zeus die Macht der Elemente. Je nach Polarität können solche Entladungen auch von der Erde ausgehen.
Unter Laborbedingungen erzeugte Blitze entstehen ebenfalls mittels Hochspannungsimpulsen und können nach heutigem Stand erhebliche Kräfte entwickeln. Tatsächlich sind aber obwohl wir in der Lage sind selbst Blitze zu erzeugen die komplexen natürlichen physikalischen Gesetzmäßigkeiten bis heute nicht abschließend erforscht.
Der Begründer der Blitzforschung dürfte wohl Benjamin Franklin sein. Er ließ am 15. Juni 1752 einen Drachen in ein aufziehenden Gewitter aufsteigen und bewies durch die entstehenden Entladungen seine Hypothese elektrischer Spannungen zwischen den Wolken.
Heute gibt es verschiedene Vorgehensweisen wie man den Geheimnissen der Blitze zu Leibe rückt. Meist nutzt man hierfür Raketen und minimiert so die Gefahr für Leib und Leben der Forscher. Franklins Methode war da noch vom alten Schlag und hätte ruck zuck mit einem Paukenschlag die Zukunft der Vereinigten Staaten verändern können. 
Besagte Raketen ziehen einen Draht hinter sich in den Himmel und leiten so den Blitz direkt in eine Messstation. Der so geangelte Lichtbogen kann einigermaßen gefahrlos analysiert werden. Zuweilen kommen anstelle von donnernden Raketen auch Wetterballons oder Flugzeuge zum Einsatz aber wie gesagt, zur letzten Erkenntnis über das Wesen der Blitze sind wir Menschen noch bei weitem nicht durchgedrungen. 
Eine Zeit lang dachte man es gäbe kaum nennenswerte Unterschiede zwischen natürlichen Blitzen und Funkenentladungen wie sie im Labor erzeugt werden können. 
Erst in den 1990er-Jahren änderte sich diese Haltung. Es stellte sich als unmöglich heraus unter Laborbedingungen Blitze zur Energieerzeugung hervorzubringen.
2001 wies man Blitzen nach sowohl Röntgen- als auch Gammastrahlen auszusenden. Gammablitze können Elektronen, Positionen, Neutronen und Positionen mit erstaunlichen Energieladungen hervorbringen.
Selbst Fusionsreaktionen sind möglich. Im Blitzkanal hat eine russische Forschergruppe nahe Moskau Neutronenflüsse gemessen, die um das hundertfache über der Norm lagen. 
Wussten Sie das man in den Tropen nahezu täglich Blitze beobachten kann? In gemäßigten Breiten hingegen kommen sie praktisch nur in den Sommermonaten vor. 
Bricht ein Vulkan aus, kommt es wiederum zu extremen Entladungen. Ein Zusammenhang mit der aufsteigenden Feuchtigkeit konnte aber nicht eindeutig bewiesen werden. Nach wie vor ist unklar was für die Häufigkeit von Blitzentladungen verantwortlich ist. 
Generell trägt die sogenannte Ladungstrennung die Schuld an der Entstehung von Blitzen. Zur Ladungstrennung kann es wiederum aus verschiedenen Gründen kommen. Vorbei gibt es wohl Aufladevorgänge die mit Influenz und solche die ohne Influenz vonstatten gehen, wobei letztere die wichtigeren sind. 
Für eine Trennung von elektrischer Ladung gilt die Reibung durch Aufwinde in Cumulonimbuswolken als wichtigste Voraussetzung. Hierbei kondensiert Wasserdampf zu ständig größer werdenden Tröpfchen wodurch Wärme freigesetzt wird. Die Luft bekommt hierdurch eine höhere Temperatur als in ihrer derzeitigen Höhe üblich, was wiederum zu ihrem Auftrieb führt. Durch den sinkenden Druck in höheren Lagen kühlt die Luft wieder ab, es die Kondensation verstärkt und den Aufstieg beschleunigt. Schließlich sinkt die Temperatur an einer gewissen Höhe unter null Grad und aus den Tropfen werden Eispartikel die stetig anwachsen. Irgendwann sind sie schließlich schwer genug und beginnen wieder in Richtung Erde zu taumeln.
Es ist möglich, dass in dieser Situation des Chaos, die noch kleineren Eiskristalle mit massereicheren kollidieren und dabei Elektronen an diese weitergeben. Letztere  nehmen somit eine negative Ladung an und sinken weiter nach unten. Die leichteren hingegen sind jetzt positiv geladen und steigen noch weiter auf. Ab einer bestimmten Geschwindigkeit zur besagten Ladungstrennung, wodurch massive Raumladungen entstehen. Je mehr Eis sich in  einer Wolke befindet, desto größer wird ihre Ladung. Auf den Punkt gebracht bedeutet dies nach derzeitigem Stand der Wissenschaft: mehr Eis, mehr Ladung, mehr Blitze.

Outing

Tag 56, Vormittags, ?52° 3′ N, 1° 9′ O, im Frühling

???

Ergänzung zur Blitztheorie

Fallen große Graupelmassen in Gewitterwolken nach unten, reisen sie gewaltige Luftmassen mit sich und erzeugen so Abwindkanäle. Über diese gelangen die negativ geladenen Teilchen weiter nach unten. Dieser untere, negativ geladene Wolkenteil lädt den Erdboden positiv auf. Hierdurch kommt es zur Ladungsverteilung der Gewitterwolke. Die Graupelteilchen schmelzen und laden sich nun ebenfalls positiv auf. Je mehr die Graupelteilchen also anwachsen, desto mehr Ladung können sie mit sich nehmen und so den Regen positiv laden während der untere Wolkenteil negativ geladen bleibt. Hinzu kommt die von dem Nobelpreisträger Charles Thomson Rees Wilson 1929 aufgestellte Theorie, dass durch die Raumladung dipolar geladener Niederschlag die ihn umgebenden Ionen je nach Polarität einfangen oder abstoßen könnten.

Heute ist mittels Elektrofeldmetern nachweißbar wie sich die Ladungsverteilung eines Gewitters aufbaut, was bei Frontengewittern oder Wärmegewittern sehr unterschiedlich sein kann.

Scheiße schwimmt

Tag 51, gegen Mittag, 42° 41′ 52″ N, 2° 53′ 41″ O, im Frühling

 

Carlos war ein Schwein. Er hatte weder Borsten noch einen geringelten Schwanz und seine Füße endeten nicht in paarige Hufe (obwohl man seine gelben Zehennägel sicher so hätte nennen können). Dennoch, er war ein Schwein! Seine Haut war rosafarben, die feinen weißen Härchen auf seinen feisten Armen – widerlich. Aber was an ihm am allermeisten an ein Schwein denken ließ waren seine tiefliegenden merkwürdig ausdruckslosen Schweinsäuglein. Ständig stierte er ausdruckslos und scheinbar desinteressiert durch die Gegend aber wer ihn kannte, wußte genau, daß Carlos das Schwein alles mitbekam.

Er war Spanier. Woher er genau kam wußte er wohl selbst nicht genau aber das er der iberischen Halbinsel entstammte war unübersehbar. Heute lebte er in der Rue René Paratilla in Perpignan. Hätte man ihn gefragt wie es ihn hierher verschlagen hatte, wäre er sicher nicht in der Lage gewesen eine adäquate Antwort zu formulieren. Er gehörte nicht zu den Menschen die ihr Leben planen und somit die Herren ihres Geschickes sind. Er war eher einer der sich treiben ließ.

Sein Elternhaus verließ Carlos in einer regenschweren Winternacht. Sein Vater hatte gerade seine Mutter vergewaltigt und ihm, Carlos, im alter von fünfzehn Jahren einen Arm gebrochen. Von Wind und Regen getrieben kam Carlos bei einem alten Schlachter der einen eigenen Hof unterhielt unter. Über fünf Jahre lebte der Junge hier, wurde misshandelt und war über eine lange Zeit hin immer wieder Zeuge und Mittäter von Misshandlungen an anderen. Der Schlachter besaß eine große Wiese. Anstelle seine Tier hier weiden zu lassen, vermietete er den Grund an Reisende. Er verdiente hieran nicht schlecht. In manchen Sommermonaten besser als von seinem Hof. Wenn es dann herbst wurde, kamen immer weniger Touristen mit ihren bunten Zelten. Das machte den Schlachter zornig. Wenn dann das letzte Zelt dort draußen in der Dunkelheit aufgeschlagen wurde, konnte es schon vorkommen, dass ein junges Pärchen auf den Hof gerufen wurden.

Kommt herein, es ist zu kalt und zu nass jetzt da draußen. Wusstet ihr das es hier Ekel gibt? Die Mistdinger können länger als eine Männerhand werden!

Früh lernte Carlos froh zu sein wenn es den jungen deutschen Tramper und nicht ihn traf. Als er das erste Mal mit von der Partie sein sollte kostete es ihn noch Überwindung aber als er dann quiekend auf dem zappelnden Mädchen lag erfüllte ihn ein Hochgefühl der Macht welches ihm sein Vorheriges Leben im Lichte einer mächtigen Vorsehung erscheinen ließ.

Mit einunddreißig Jahren musste er die Gegend verlassen. Die Polizei hatte ein Mädchen halbtot am Straßenrand gefunden. Dummerweise konnte sie sich an den Hof und den Weg dorthin erinnern. Überhaupt hatte sie offenbar ein gutes Gedächtnis. Sie beschrieb sowohl den alten Schlachter, als auch den hässlichen jungen Mann mit seinem Schweinegesicht.

Carlos floh und hangelte sich von einem kleinen Raubüberfall zu Ladendiebstählen und einer Zeit in der er mittellos auf der Straße lebte bis hin zu einem kleinen französischen Hühnerbetrieb. Hier wurde er aufgenommen. Er kaufte sich von seinem ersten Lohn (auf Anraten seines Vorarbeiters)  eine neue Hose und mietete die winzige Wohnung in der er jetzt lebte.

 

XXXXXXXXXXXX hier weiterschreiben xxxxxxxxxxx

Entstellt

Leise quält sich ein Song der Stones aus den Lautsprechern der Holzvertäfelung. Andreas sitzt in einem trostlosen kleinen Pub im Flughafen von Istanbul. Er wartet. Es ist 00:03 Uhr. Sein Flieger wurde ›aufgehalten‹. Seit drei Stunden wartet er. Er hat innerlich geflucht, dem Piloten die Pest an den Hals gewünscht. Er hat gejammert und seine Frau angerufen die ihn zur Schnecke machte wegen der Späten Uhrzeit. Der Sturm peitscht gegen die Glasfront des Flughafens. Draußen ist alles schwarz in schwarz. Selbst die Lampen der Landebahnen dringen nur als stecknadelgroße glimmende Pünktchen zu ihm herein. Nichts bewegt sich – alles bewegt sich. Der verdammte Sturm. Er nippt an seinem faden Expresso. Warum Bankog? Er sehnt sich nach der Zivilisation. Seiner Zivilisation. Er will eine Weißwurst essen – eine die weich und nicht angebraten ist! Er will auf ein Klo gehen das eine Schüssel hat. Gut das fand man hier zumindest, aber in Asien? Da macht er sich wenig Hoffnung. Entenschnäbel in glibberiger Marinade. Natürlich kalt. Nein danke. Dann doch viel lieber blau-weiß. Früher hatte er sich oft über seine Heimat lächerlich gemacht aber seit er ständig von seinem Vorgesetzten von Nord- nach Südpool geschickt wird ist seine Sehnsucht nach Bayern übermächtig geworden. Ein freundliches ›grüzdi‹. Und einmal, einmal bitte offen in die Augen geschimpft bekommen weil man in der Straßenbahn die Tür nicht gleich frei macht. ›Könns net mal a bissle beiseidn gehn die Herrschaften?‹

Er lehnt sich zurück und wünscht sich die Zeiten herbei in denen man noch überall rauchen durfte. Nervös spielt er zum tausendsten Mal mit der mittlerweile zerdrücken Zigarettenschachtel. Er will aufhören, hat es Karin versprochen. Bis Weihnachten ist es zu Ende. Er drückt das Pflaster an seinem Arm fester als könne er so das darin spärlich vorhandene Nikotin in seinen Blutkreislauf befehlen. Seine Freunde lachen über ihn. Unterm Pantoffel was? Wenn er dann von seinem Hausarzt anfängt der seine Atemnot und das gruselige Herzstechen, jedes Mal wenn Andreas bei ihm vorstellig wird, auf den Konsum von Zigaretten zurückführt, winken sie ab und verdrehen die Augen wie tolle Kühe.

 

Verzweifelt versuchte sie sich in eine Bessere Position zu bringen. Ihre Schultern knackten. Eine Bessere Situation – Sie hatte vergessen wie das war. Wenn sie ihre Arme zu weit ausstreckte um ihre Schultern zu entlasten bekam sie Krämpfe im Nacken. Sie schluchzte und zuckte erschrocken von ihren eigenen Lauten zusammen. Lauschend sog sie die nach Urin und Erbrochenem riechende Luft durch die Nase ein. Ihre Nasenflügel bebten. Blinzelnd starrte sie in das ewige Dämmerlicht des Raumes. Ihr Kopf nahm wieder die alte Stellung ein. Wenn sie auf dem Rücken lag bekam sie keine Krämpfe aber dafür brannte dann ihr Rückrat wie Feuer. Der durchgescheuerte Kordstoff das verdreckten Sofas fraß sich in ihre Haut als handle sich es sich dabei um Schmirgelpapier. Es gab keine Stelle ihres geschundenen Körpers der sie nicht schmerzte. Gaben die Schmerzen kurz ruhe, so wurden sie von einer dumpfen Taubheit abgelöst. Doch sobald sie sich bewegt waren sie wieder da. Sie stürzten sich auf sie, hackten ihr die Haut auf – die Schmerzen. Sie hatte sie gut kennen gelernt. Sie kannte die Schmerzen.

Wenn sie sich übergeben musste drückte sie ihren Kopf unter größter Anstrengung über ihre rechte Armbeuge. Sie versuchte ihr Erbrochenes so weit von sich weg wie möglich zu befördern. Beim ersten Mal hatte sich diese Weisheit noch nicht in ihr verankert gehabt. Die Flecken um ihre Brust und ihre Verklebten Haare zeugten davon. Hustend und würgend spuckte sie die restlichen Bröckchen von sich. Es war nicht viel. Sie konnte nicht mehr viel Nahrung aufnehmen. Obwohl er das wollte. Als sie sich wieder auf ihre Ruheposition zurück gelegt hatte liefen ihr die Tränen über die Wangen. Kurz wunderte sie sich, hatte sie doch schon vor langem mit dem Weinen abgeschlossen. Doch ihre Kehle brannte und in ihrem Kehlkopf breitete sich ein unerträglicher Druck aus. Die Tränen waren keine Tränen der Panik mehr. Sie liefen ihr über das schmutz starrende Gesicht weil ihr Hals weh tat. So zumindest bekämpfe sie die Angst. Die Angst war ihr größter Feind. Angst und er. Er war ihr größter Feind. Er war da.

Wieder schob sie sich nach oben und versuchte an der Lehne vorbei zu blicken. Die Eisen scheuerten ihre Knöchel auf. Sie konnte spüren wie sich der Schorf zum hundertsten Mal löste. Sie roch ihre Wunden. Er wusch sie. Er entfernte ihren Kot und ihre Pisse und manchmal schmierte er etwas brennendes auf ihre Wunden. Aber er machte all dies nie gründlich und immer mit zitternden Händen. Er sah sie nicht an dabei.

Mit etwas Mühe und dem Schmerz als Preis konnte sie seinen gebeugten Rücken am Arbeitstisch sehen. Er brütete da über etwas. Er schien zu malen oder vielleicht schrieb er auch. Sie konnte sich kaum vorstellen das er in der Lage war zu schreiben. Langsam und möglichst geräuschlos glitt sie wieder hinunter. Ihre Gelenke brannten. Sie musste Wasser lassen. Das hasste sie wohl am meisten. Es dauerte lange bis es durch den Stoff auf den Boden des Zimmers abgeflossen war. Der Kord sog sich voll und erzeugte eine stinkende Kuhle unter ihrem Hintern. Dann wurde sie wieder ein wenig wunder und wenn sie einschlief und es trocknete klebte alles an ihrer offenen Haut. Sie drehte sich zur Seite. Ihre Knie so weit wie möglich gespreizt drückte sie ihr Becken durch und ließ es laufen. Wenn sie lange genug wartete kam ihr Urin in einem kräftigen Strahl der nur ihr rechtes Bein benetzte wenn sie früh genug abbrach. Dann drehte sie sich noch ein bisschen weiter und wartete bis der Rest über die Sofakante gelaufen war. Die Ketten rasselten. Sofort verharrte sie in ihrer Position. Lauschend verspannte sie jeden einzelnen Muskel. Hatte er sich gerührt? War da ein leises Klicken gewesen? Schlurfende Schritte? So wartete sie fast zwei volle Minuten. Dann brannten ihre Gelenke und sie ließ sich zurück sinken. Langsam und leise. Dann hörte sie ihn. Er kam. Seine schlurfenden Schritte verrieten ihr wo er war.

Der Fall Engelmann oder eine Frage der Schwere
VU 2331/27012012/0813 Heiligenwald

Und? Hast Du den gelesen? Nein, aber ich habe ihn heute Morgen auf Deinem

Schreibtisch liegen sehen und mal in die Kladde geschaut. Interessanter Fall.

Sie: Maria Habermehl, 37 Jahre, Kosmetikfachverkäuferin in M. – ein so genanntes Kind aus gutem Hause. Ihre Eltern stammen vom Killesberg. Du weist schon, die Noblen nähe Höhenberg.

Nie gehört?

Schönes Fleckchen dort. So mit Parkanlagen und Blick über die Stadt. Egal.

Nicht vorbestraft, keine Auffälligkeiten auf ihrem Konto oder so etwas.

Er: Klaus-Dieter Engelmann, 40 Jahre, Städtischer Angestellter. Mit der Schicht hat er es gerade so auf ihr Gehalt geschafft. Mit einem orangen Strampelanzug verdient man eben nicht so viel. Da hat es die Zuhälterin der Reichen und Schönen schon einfacher.

Aber ich denke ich erzähle Dir die Geschichte am besten ganz von vorne.

Am 11.9. Kommt Maria also aus ihrer Haustür gelaufen und versucht ihren Opel aufzuschließen. Das Auto ist nagelneu und noch nicht abgezahlt aber wie gesagt kann sie es sich ja leisten. Sie nestelt an der Fahrertür herum und ihre Augen sind schon ganz zerlaufen von der Schminke denn sie heult und heult. Zehn Minuten vorher hat sie die Bilder im Fernsehen gesehen. Wahrscheinlich hätte sie die Sache ohnehin aufgerüttelt aber sie hat eine persönliche Verbindung mit den Anschlägen. Ihr Bruder, Rolf Habermehl ist dort! Sie kann ihn nicht erreichen und hat keine Nachricht und jetzt ist sie am Ende mit ihren Kräften. Sie will nur noch nach Stuttgart zu ihren Eltern.

In dem Moment als sie endlich die Tür aufbekommt rutscht sie auf dem glatten Straßenpflaster aus und fällt der Länge nach auf ihren Allerwertesten. Sie blickt auf und neben ihr hält so ein riesiger Müllwagen. Das Ding ist dreckig und man kann die orange Farbe gerade mal erahnen. Außerdem erfüllt innerhalb von Sekunden ein Gestank nach Verwesung, Moder und ranziger Galle die Straße. Sie will nur noch weg. Ihr Bein tut weh.

Da streckt ihr ein Hüne die Hand entgegen. Sie blickt auf und sieht durch den Tränenschleier die leuchtenden eisblauen Augen des Herkules persönlich.

Ja, ich weiß, dass Herkules aus dem Mittelmeerraum kommt. Eine Götterfigur der Antike und ja die Leute da unten haben meist eher dunkle Augen. Und? Spielt das eine

Rolle? Für die Geschichte spielt es keine Rolle.

Klaus-Dieter hat aber nunmal blaue Augen und ich finde er ist schon so eine Art Herkules. Optisch zumindest. Also ich für meinen Teil finde ihn ziemlich hünenhaft.

Aber weiter mit der Geschichte.

Er hilft ihr auf, sie lächelt scheu und beide sagen nichts. Ihre Augen glänzen ja sowieso, der Tränen wegen. Seine glänzen jetzt auch. Ihretwegen. Plötzlich wird aus der

grauen Straße der Garten Eden.

Sie bedankt sich artig. »Ich muss jetzt aber leider gehen ...«

»Leider?«

»Nun ... ja.«

Dann steigt sie in den Opel und schafft es ohne den Schlüssel abzubrechen und ebenfalls ohne eine Katze zu überfahren oder das Stoppschild zu rammen aus der Straße

zu flüchten.

Er blickt ihr hinterher bis Mohammed ihm einen Rippenstoß versetzt. Mohammed K.,

geladener Zeuge der Anklage. So ein untersetzter Türke mit zusammengewachsenen Augenbrauen.

»Fahren wir oder was?« sagt er zu Klaus-Dieter und vernichtet mit seinem Akzent die Romantik des Moments. Aus Eden wird wieder eine schmutzige Straße im Hochsommer mitten in der Pfalz.


Klaus-Dieter sprang behände wie ein Reh auf das Trittgitter des Wagens und klopfte gegen die hallende Seitenwand. So genießen sie den Fahrtwind. Aber nur etwa acht Meter, denn da steht die nächste Tonne.

Der Bruder hat natürlich überlebt. Er war gar nicht bei den Towers an dem Tag. Statt dessen hat er eine Stadtrundfahrt gemacht und ist später mit zwei Minirock-Studentinnen

in einem Irish-Pub versackt. Für Maria vergehen aber am 11. endlose Stunden der Qual.

Sie wird – tausende Meilen von dem Ort des Schreckens entfernt – diesen Tag nie vergessen. Am nächsten Nachmittag, also am 12., ruft ihr Bruder an und will die

Geschichte mit den Anschlägen präsentieren. Maria, die am Telefon ihrer Eltern ist, hört ihm kurz zu und bei der Stelle mit den Studentinnen und seinem Glück nennt sie ihn

kurzerhand »Arsch« und legt auf.

Warum ich lache? Na ja, wäre es besser gewesen wenn er gestorben wäre?

Natürlich hat sie sich in Wahrheit gefreut aber dennoch war sie sauer genug um aufzulegen. Ich meine ein Gespräch aus den USA. War sicher nicht billig.

Nach der Sache mit dem Müllwagen vergeht genau eine Woche. Der 11. September 2001 war ein Dienstag und somit kommt Klaus-Dieter wieder an einem Dienstag an Marias

Tür vorbei. Er sieht den silbergrauen Opel am Straßenrand stehen und erinnert sich und da trifft er die Entscheidung seines Lebens. Kurzerhand sagt er seinem Kollegen

Mohammed, dass er sich krank melden würde und springt vom Wagen.

Er wohnt am anderen Ende der Stadt aber mit dem Bus braucht er nur fünfzehn Minuten. In Rekordzeit duscht er, zieht seine besten Jeans und ein Hemd über, föhnt sich

die Haare verwegen ins Gesicht (fransig) und schafft es innerhalb weniger Minuten wieder auf der Piste zu sein.

Bei Frau Walters Blumenladen besorgt er einen Strauß für acht Euro. Frau Walter ist ebenfalls später Zeugin der Anklage.

Dann wartet er.

Wo?

Na vor der Tür natürlich, wo sonst?

Als diese sich öffnet und die junge Frau in die staubige Morgenluft tritt streckt er seinen Arm wie der zuschlagende Charles Bronson aus und hält ihr die Tulpen vor die Nase. Die Walter hatte keine Rosen vorrätig. Vielleicht wegen der Wasserknappheit in dem Sommer.

Maria nimmt perplex die Blumen entgegen und bedankt sich leise. Sie erkennt ihn nicht. Sie denkt im ersten Moment es handle sich um einen Blumenbringdienst und der Strauß wäre von ihrem blöden aber immerhin lebenden Bruder.

»Klaus-Dieter,« sagt er mit seiner wohlklingenden Stimme.

Warum? Spielt doch keine Rolle, ob ich den Klaus reden hörte. Ich stelle mir seine Stimme wohlklingend vor und die Habermehl hat nichts gegenteiliges zu Protokoll gegeben. Nein, die anderen auch nicht. Wenn Du so großen Wert darauf legst ob seine Stimme wirklich wohlklingend war dann fahr zu dem blöden Blumenladen hinaus und frag

die Verkäuferin aber lass mich die Geschichte erzählen wie ich das für richtig halte.

Wo war ich? Er sagt also seinen Namen und da muss sie ihn erkennen, denn sie schmunzelt und versteckt ihren Blick scheu hinter den Tulpen.

»Ich bin der Müllman,« zugegeben, er hätte sich mit seiner weiteren Ansprache etwas mehr Mühe geben können. Trotzdem scheint Maria sich angesprochen zu fühlen.

»Ich weiss. Danke schön noch einmal,« sagt sie immer noch schüchtern.

»Vielleicht würdest Du mal mit mir essen gehen?« Klassisch aber nicht schlecht.

Sie schüttelt den Kopf und drängt sich mit den Blumen an ihm vorbei. Er bleibt einfach an der Tür stehen. Ihre Ablehnung hat ihn in eine Art Starre versetzt. Erst als sie in ihren Wagen steigt und er ihre Knöchel anstarrt kommt er wieder in Bewegung.»Bekomme ich deine Nummer?«

Sie legt die Blumen behutsam auf den Beifahrersitz und beginnt in ihrem Handschuhfach herum zu nesteln. Mit zwei Schritten steht er neben dem Opel. Dann reicht sie ihm einen Kassenzettel von ALDI. Er ist sofort mit seinen Gedanken bei der Entsorgung und bemerkt fast zu spät die darauf gekritzelte Zahlenkolonne.

Wie sie so die Straße hinunter fährt steht er im frühen Sonnenlicht und fühlt sich wie der glücklichste Mensch der Welt.

Du sollst über so etwas nicht lachen. Liebe hält die Erde in Bewegung.

Zum erstenmal halten die Beiden dann Händchen im Rexkino. Sie sehen sich »Wege des Herzens« an. Optimaler Film für den ersten gemeinsamen Kinobesuch. Nicht zu schnulzig aber eben auch kein Gedärmeumherwerfer Marke »City Shark«.

War mir klar welchen Film Du Dir ansehen würdest.

Danach gibt es Muscheln und Pasta. Er zahlt alles. In den kommenden Wochen sehen sie sich öfters und am dritten Sonntag bleibt es nicht bei einem Abschiedskuss an

ihrer Wohnungstür. Ihre erste gemeinsame Nacht ist heiss, das sage ich Dir.

Steht so im Bericht. Hat sie wohl ausgesagt.

Zuerst leben sie in ihren Wohnungen aber es ist bald klar, dass es was Festeres wird. Er stellt sie seinen Eltern vor und diese schliessen Maria sofort in ihr Herz. Herr Engelmann Senior ist überaus angetan von der flotten Brünetten und auch Mama fühlt sich zu der gesitteten jungen Frau hingezogen. Schwieriger ist es da schon den »Müllmann« nach Killesberg einzuführen. Herr Habermehl lehnt ab. Seine Gattin ist da etwas weltoffener und versucht zu schlichten aber Klaus-Dieter fühlt sich selbst unter den

Reichen nicht wohl und meidet darum dieses Revier möglichst. Für Maria ist dies nicht so schlimm. Sie geht davon aus, dass ihr Vater früher oder später einsehen wird wie ernst es ihr ist. Sie denkt schon an Eheringe, blau oder rosa und an die Hochzeitsreise nach Florida.

Nach einem Monat streiten sie das erste mal. So lange dauert das bei mir nie. Wenn ich da an Karl denke und wie wir uns schon in der ersten Woche anblökten. Der Streit

dreht sich dann doch um den Standesunterschied. Sie schlägt einen Urlaub in den USA vor – eine fixe Idee welche sie seit Jahren verfolgt. Er lehnt lächelnd ab und denkt noch es sei ein Spass. Klaus-Dieter kann sich solch einen »Kurzausflug« schlicht weg nicht leisten

und als Maria ihm anbietet beide Flüge zu zahlen wird er ärgerlich. Doch der Streit artet nicht aus. Sie lenkt schnell ein und man kommt zu der Übereinkunft, dass die Ostsee auch ihre Reize hat und man dafür ja auch nicht stundenlang in einem gefährlichen Reisemittel

festgeklemmt werden muss. Ostsee also. Die Reise findet dann auch statt und den Fotos nach zu urteilen verläuft sie unbeschwert und glücklich. Dort macht er ihr den Heiratsantrag. Sie sind zu dem Zeitpunkt ein halbes Jahr zusammen und lieben sich ganz offensichtlich sehr.

Den Ring bezahlt er von einem Kredit aber davon weiss sie nichts. 2.500,– Euro für Weißgold und Brillant bei Juwelier Reinke. Lupenrein versteht sich. Der Geschäftsinhaber

war geladen, wurde aber von seinem Geschäftsführer, einem Herrn Anders, vertreten. Die Aussage war kein bisschen relevant.

Die Raten will Klaus-Dieter in dreihunderter Happen ablösen. Er hat alles genau bedacht. Den neuen Wagen gibt es dann eben erst im nächsten Jahr. Sein alter Passat

tuts auch noch bei der nächsten Reise. Er malt sich Sylt aus. Maria nimmt den Antrag freudestrahlend an und denkt während sie »Ja« sagt: Wie machen wir das mit Florida?

Einen Monat später erleben wir Klaus-Dieter erstmals in seiner Mr. Heyde-Rolle.